Kategorien: Familie & Partnerschaft - Gesundheit & Wellness
Magdalena erzählt in ihrem persönlichen Jahresrückblick von ihrer Brustkrebserkrankung. Im zweiten Teil der Serie schildert Magda, wie sie Familie und Freunde über ihre Diagnose informiert hat, was es zu tun gab und was ihr geholfen hat.
Teil II
Text: Magdalena Zelder
Im letzten Beitrag habe ich ja schon ein wenig über mich, meine Familie und DEN Tag im letzten Jahr erzählt, als unsere Bullerbü-Welt gehörig auf den Kopf gestellt wurde. Meine Diagnose: Brustkrebs.
Das Gefühl alles nur gedämpft wahrzunehmen, dass blieb tatsächlich nicht lange. Schon nach wenigen Stunden war ich in der Realität angekommen. Machte mir Gedanken darüber, wie ich es wem sagen soll, was mit den Kindern wird und wie das im Betrieb laufen soll. Da ich doch nach komplizierter Schwangerschaft und einem nicht ganz einfachen ersten Jahr mit unserer 3. gerade erst wieder dabei war voll durchzustarten.
Die Nachricht
Am schlimmsten war es, diese Nachricht meinen Eltern- und Schwiegereltern zu überbringen. Zu meinen Schwiegereltern sind mein Mann und ich auf den Hof gefahren und saßen gemeinsam am Küchentisch. Ich glaube, sie haben eher gedacht wir kündigen Kind Nummer vier an. Die Fassungslosigkeit der anderen zu ertragen war mit das Schlimmste für mich und ich, die eigentlich die Kranke war, versuchte immer alle aufzubauen. Meine Eltern und meinen Bruder Florian, übernahm meine Schwester Julia. Es tut mir bis heute leid, dass sie das übernehmen musste, gleichzeitig bin ich ihr unendlich dankbar. Meine Eltern haben schon ein Kind, meinen Bruder Johannes, verloren. Wie hätte ich ihnen so eine Nachricht am Telefon überbringen sollen. Als wir danach das erste Mal telefonieren wollten, konnten wir nicht, wir mussten einfach alle zusammen weinen.
Ich entschied mich all unseren Freunden und engsten Verwandten eine WhatsApp zu schreiben. Gar nicht so einfach das zu formulieren, aber ich wollte auf keinen Fall, dass diese uns so wichtigen Personen solch eine Nachricht irgendwo aufschnappen.
Und dann waren da ja noch unsere Kinder. Was und wie viel sagen wir ihnen? Wie weit sollen wir sie in unsere Ängste und in die Therapie einbeziehen? Direkt bei Diagnose wurde uns schon der Verein Papillon-Verein Kinder krebskranker Eltern, empfohlen. Mit der Psycho-Onkologin vor Ort, vereinbarten wir noch auf dem Weg Nachhause ein Videotelefonat. Gemeinsam erarbeiteten wir ein Gespräch mit den Kindern und bekamen auch viel Material für uns aber auch tolle Bücherempfehlungen für die Kinder an die Hand. Bis heute gehen die beiden großen regelmäßig zu Treffen und Einzelgesprächen, denn spurlos vorbei geht diese Erkrankung auch an den Kleinsten nicht.
Struktur im Chaos
Wenn um mich herum Chaos ausbricht, brauche ich Struktur. Das tut mir gut. Also fing ich an Listen zu erstellen. Diesmal keine To-do-Kälberstall-, To-do-Büro- oder To-do-Hofladen-Liste, sondern Arztgespräch- und Untersuchungslisten, Literaturlisten, Selbsthilfegruppen für alle Beteiligten, Betriebshilfeantrag, Gespräche KiTa und Schule, und, und, und.
Die Listen brachten die Struktur und gaben mir das Gefühl alles im Griff zu haben. Ich bin Marke Kontrollfreak, nehme ungern Hilfe an und mache am liebsten alles selbst. Blöd nur, dass ich genau diese Kontrolle verloren hatte und das wurde mir sehr schnell bewusst. Mein Leben bestand innerhalb von einem Tag nur noch aus Untersuchungsterminen, Zweithaarberatung, psycho-onkologischer Beratung für mich und meine Familie, Mitgliedschaft und Beratung beim VDK, medizinischen Gutachten, Befunden und Empfehlungen und so vielem mehr. Gerade am Anfang hatte ich gar nicht wirklich die Möglichkeit das alles wirklich zu erfassen, die Krankheit anzunehmen. Ich arbeitete wie im Hamsterrad diese ersten 4 Wochen ab, kam nicht zur Ruhe, funktionierte.
Neue Nachrichten
Ich fühlte mich während Mammographie, Biopsie, CT, MRT, Knochenszintigraphie, Blutentnahmen, Port-Operation und unzähligen Ultraschall-Untersuchungen immer mehr wie ein Gegenstand. Stumpfte regelrecht ab. Oben ohne in Behandlungszimmern rumzusitzen, wurde so normal wie Zähne putzen. Als verdächtige Flecken im Kopf entdeckt wurden, war ich definitiv das erste Mal wirklich kurz vorm Nervenzusammenbruch. Ich scherze gerne, wenn es ernst wird, aber da fiel selbst mir nichts mehr ein. Das erste Mal kam mir der Gedanke: „Okay, wenn da was im Kopf ist, dann musst du vielleicht sterben.“ Schnell stellte sich jedoch heraus, dass diese Flecken alte Verletzungen waren: Mein Holzkopf versus Hühnerstall, eine Geschichte für sich, aber Gott sei Dank war es das. Kurzzeitig aufatmen.
Richtig aufgeregt war ich aber definitiv an dem Tag nach der Tumorkonferenz des Ärzte-Teams, an dem ich meinen Behandlungsplan erhalten sollte. Wieder diese ernsten Gesichter: „Frau Zelder, sie haben einen wirklich komplizierten, aggressiven Tumor, der auch schon ins Lymphsystem gestreut hat. Wir müssen alle Geschütze auffahren.“
„Alle Geschütze“, das sollte heißen: 16 Chemos, davon 4, die sogenannten ECˋs (Epirubicin und Cyclophosphamid), stationär mit einem „besonders netten“ Wirkstoff, 12 Chemos mit dem Wirkstoff Paclitaxel wären dann ambulant möglich. Im Anschluss an die Chemotherapie folgt die Operation. Hier gab es mehrere Möglichkeiten, aber auch noch etwas Zeit diese abzuwägen. Anschließend ca. 30 Bestrahlungen und wenn ich dann noch nicht „sauber“ wäre, könnte es von Nöten sein eine weitere Chemotherapie anzuschließen.
Termine, Termine, Termine
Zack, das musste sich erst mal setzten. Als erstes überschlug ich im Kopf und war fassungslos, das wäre ja fast ein Jahr Behandlung, ohne Reha oder ähnliches. Verdammt, wie sollte das gehen? Eins war mir jedoch klar, ich will so früh wie möglich mit der Therapie starten. Volle Kraft voraus. Wenn ich was tun kann, dann geht es mir besser: Aktionismus statt Kopf in den Sand stecken. Bei Anmeldung auf Station, um den Termin meiner ersten Chemo zu vereinbaren, hatte ich dann einen richtigen Zusammenbruch. Der Termin sollte am 6. Geburtstag unserer Tochter Ida stattfinden. Irgendwie hat mich das so getriggert, dass ich in Tränen ausgebrochen bin, gehen wollte und gesagt habe: “Geht nicht, da muss ich Kindergeburtstag feiern.”
Ich bin den beiden Krankenschwestern bis heute so dankbar! Sie haben einfach mit mir geweint, alle Hebel in Bewegung gesetzt und meinen Termin verschoben. So konnte ich noch Kindergeburtstag feiern und dann starten. Das wollte ich unbedingt machen, denn langsam meldete sich trotz Kampfansage immer wieder der Gedanke: „Was ist, wenn das der letzte Geburtstag von Ida ist, den ich miterlebe ... ?“
Von Suchmaschinen und Algorithmen
Wenn ich in den sozialen Medien ein wenig Ablenkung suchte, wurde mir nur noch Krebs als Thema angezeigt. Ausschnitte aus Talkshows, Berichte Betroffener, Krebsversicherungen und immer öfter Sterbegeldversicherungen (absolut kontraproduktiv kann ich nur sagen!).
Eine Zeit lang schaffte ich es auch dem Rat meiner breast care nurse, Schwester Gabi, nachzukommen: “Egal was Sie tun, nicht googlen!“ Irgendwann tat ich es aber doch und dann flog mir das Thema so richtig um die Ohren. Ich hatte das Gefühl Krebs bestimmt mein Leben und sonst findet Leben gar nicht mehr statt.
Ein Name für den Kampfgeist
Ich hatte 14 Bücher über Brustkrebs in meinem Warenkorb. Eins habe ich bestellt, weil mir das Cover und der Titel am besten gefielen. “Brüste umständehalber abzugeben“ von Nicole Staudinger flatterte ins Haus und wurde von mir in einer Nacht gelesen. Es war das einzige Buch, das ich wirklich zu diesem Thema gelesen habe und es hat mir sowas von gutgetan! Ich fand mich zu 99 % in dem Buch wieder, es gab so extrem viele Parallelen zu meinem Leben und meinem Tumor. Frau Staudinger erklärte all das, was die Ärzte mir in den letzten Tagen erzählt hatten, so viel anschaulicher. UND: Sie gab ihrem Tumor einen Namen. Das gefiel mir. So entstand gemeinsam mit einer lieben Freundin und deren Tochter der Name Archibald Crabbe (ich als alter Brontae- und Austen-Fan hab was für Aristokraten übrig ;-) ) alias Arschi. Und wenn das Ding einen Namen hat, dann kann man ihm auch besser einen Arschtritt verpassen.
Ich wollte und will nicht sterben, das war mir sofort klar: „Arschi, du kriegst mich nicht!“ Wie schwer der Kampf sein würde, das habe ich beiseitegeschoben und wusste es zu dem Zeitpunkt – Gott sei Dank – auch noch nicht. Meinem Kampfgeist hätte das am Anfang wahrscheinlich doch einen Dämpfer verpasst. Ganz schnell fand ich mein Motto: „Aufgeben ist keine Option!“ Eine liebe Bekannte malte mir diesen Satz auf einen Stein, der mein ständiger Begleiter wurde. Jetzt nachdem wir wussten mit was genau wir es zu tun hatten, ein Behandlungs-Plan feststand, an dem man sich langhangeln konnte und der Krebs meine und unsere Realität war, konnte es nur heißen:
“Aufgeben ist keine Option!!!!!!!”
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