Foto: Ines Marquet (1)

Das Landleben – angeblich der Inbegriff von Entschleunigung, Ursprünglichkeit und echtem Leben. Zumindest, wenn man Social Media glaubt. Zwischen selbstgemachtem Holunderblütensirup und barfuß durchs taunasse Gras flanierenden Städter:innen entsteht dort ein Bild vom Dorf, das mit der Realität oft wenig zu tun hat. Klönstedt-Teammitglied Anne lebt wahnsinnig gern auf dem Land – aber nicht in Bullerbü.

Ich mag das Landleben. Ich lebe hier gern. Wirklich. Ich bin in einem kleinen Dorf groß geworden, bin freiwillig in die Gegend zurückgekommen, und ich würde es jederzeit wieder tun. Aber was mir in letzter Zeit zunehmend auf den Geist geht: dieses neu entdeckte Landidyll auf Social Media. Ein romantisiertes „Zurück aufs Land“-Narrativ, das mir der Algorithmus in Dauerschleife ausspielt. Am besten barfuß im Leinenkleid, mit einem wilden Kräuterstrauß in der Hand.

Nicht die ganze Wahrheit

Da ziehen Menschen von der Stadt aufs Dorf – und entdecken plötzlich das „echte Leben“. Sie pflücken Löwenzahn, streicheln Hühner, atmen tief durch und erzählen in butterweichen Pastelltönen, wie wunderbar entschleunigt, naturverbunden und ursprünglich es hier doch ist. Der Sonnenuntergang überm Feld. Das selbst eingemachte Rhabarberkompott. Der Hahn, der morgens kräht (wie süß!). Die Dorfstraße, so charmant verwildert. Ja, es gibt hier Natur. Und ja, es gibt hier Hühner. Aber das ist nicht die ganze Wahrheit.

Denn was dabei oft vergessen wird: Das Landleben ist nicht instagrammable. Jedenfalls nicht immer. Landleben heißt auch:

  • Kein Bus, kein Krankenhaus in der Nähe, kein Handyempfang.
  • Hühner, die krank werden oder sich gegenseitig das Gefieder rauszupfen.
  • Rentner:innen mit mehr politischem Einfluss als jede Bürgerinitiative.
  • Tage, in denen man gefühlt nur im Auto von einem Termin zum nächsten fährt, weil man sich für die Entfernungen nicht mal eben mit drei Kindern aufs Rad schwingt.
  • Das Gefühl, auf dem Dorf zu leben – und gleichzeitig irgendwie durchzufallen, weil man nicht so ist, wie man hier angeblich sein sollte.

Willkommen auf dem idyllischen, entschleunigten Land!

Vermeintliches Landidyll

Ich habe selbst mehrere Jahre in Hamburg gelebt – und ich habe die Stadt sehr geschätzt. Die Vielfalt, die kurzen Wege, die Auswahl. Museen, Konzerthallen, Restaurants und Cafés. Ich wäre auch vermutlich noch länger dortgeblieben, aber ich bin der Liebe wegen zurückgekommen. Nicht für das vermeintliche Landidyll, sondern für das Leben, das ich hier führen wollte. Und das ist manchmal richtig schön – und manchmal einfach nur anstrengend. Sicherlich nicht nur, weil es auf dem Land stattfindet, aber mitunter eben genau deshalb. Und dann kommt da jemand, der seit sechs Monaten auf dem Land wohnt und erklärt mir in einem Reel, wie sehr das Dorf sie geerdet hat.

Was mich stört ist die naive Verklärung

Was mich nervt, ist nicht, dass Menschen das Landleben für sich entdecken. Im Gegenteil – ich verstehe das total. Was mich stört, ist die naive Verklärung. Dieses „Hier ist alles so viel echter“ – als wäre das Leben in der Stadt automatisch falsch. Oder schlimmer: als hätte das Dorf auf die Städter:innen gewartet, um endlich zu sich selbst zu finden. In der Instagram-Story wird dann erzählt, wie befreiend es sei, den eigenen Salat zu ernten – und dass man ja so viel von der Landbevölkerung lernen könne, wenn man genau hinhöre.

Landleben ist einfach nur real

Ganz ehrlich: Die Menschen hier sind keine Statisten für Lifestyle-Projekte. Und Überraschung: Ja, auch auf dem Dorf kennen die Menschen Leo-Leggings, denn sie leben nur auf dem Land und nicht hinter dem Mond. (Ich weiß gar nicht, warum mich die Story einer Content-Creatorin, in der sie das Gegenteil behauptet hat, so aufgeregt hat.) Sie leben einfach nur ein anderes Leben. Eines, das mitunter komplizierter ist als gedacht. Mobilität, medizinische Versorgung, Kinderbetreuung, Internet? Nicht alles lässt sich mit einem Glas Holunderblütenschorle schönreden.

Ich liebe mein Leben auf dem Land. Ich würde nicht mehr dauerhaft in der Stadt leben wollen. Vor allem nicht mit Kindern. Aber das Landleben ist nicht besser oder authentischer. Es ist einfach nur real. Ungefiltert. Und das sollte doch eigentlich reichen.

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