Im persönlichen Jahresrückblick zu ihrer Brustkrebserkrankung stellt Magdalena fest: Die ständige Präsenz der Arbeit als selbständige Unternehmerin und Mutter lässt wenig Raum für Erholung. Dabei ist es doch wichtig sich Ruhe und Auszeiten zu nehmen, erst recht, wenn man krank ist. Im vierten Teil der Serie erfährst du mehr über Krankschreibungen, das schlechte Gewissen und Helfer:innen. Außerdem gibt Magda dir eine wesentliche Erkenntnis mit auf den Weg. 

Teil IV

Text: Magdalena Zelder

In den letzten drei Beiträgen habe ich von dem Beschluss „Arschi“, meinem Brustkrebs, gehörig in den Hintern zu treten und wie wir das Thema Krebs mit unseren Kindern angegangen sind, berichtet. Heute möchte ich davon erzählen, wie es ist Krebs zu haben und einen Familienbetrieb zu schmeißen. .

Die Krankschreibung

Am Tag meiner Diagnose drückte mir die Sprechstundenhilfe eine Krankschreibung in die Hand. “Erstmal für vier Wochen Frau Zelder, aber Sie können Ihren Arbeitgeber schon einmal darauf vorbereiten, dass es ein- bis anderthalb Jahre werden können.“ 

Haha… ich sagte nur: „Geht nicht, ich bin selbstständig. Selbst und ständig.“ Erst mal fand ich das witzig. Ehrlich! Ich sollte aber noch merken, dass eine lebensbedrohende Erkrankung und Selbstständigkeit absolut nicht witzig sind. 

Die Krankschreibung nahm ich erstmal mit und füllte den Antrag für Betriebshilfe aus. In der Landwirtschaft gibt es die Besonderheit der Betriebs- und Haushaltshilfe. Wer in der landwirtschaftlichen Sozialversicherung (Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG)) versichert ist, was ich als Unternehmerin ja bin (mein Mann und ich führen den Betrieb als GbR, 50/50) hat 112 Tage Anrecht darauf. Wie viele Stunden am Tag und ob wirklich Bedarf besteht, wird von Krankschreibung zu Krankschreibung überprüft. 

„Sie können Ihren Arbeitgeber schon einmal darauf vorbereiten, dass es ein- bis anderthalb Jahre werden können.

Die SVLFG hat Festangestellte Betriebshelfer, da muss man aber das Glück haben, dass eine:r frei ist oder man muss sich die Ersatzkraft selbst beschaffen und die Kosten werden übernommen. Selbst jemanden zu finden ist wiederum gar nicht so einfach, da der- oder diejenige weder verwandt oder verschwägert, noch als Mini-Jobber auf dem Betrieb angestellt sein darf. Puh, da eine adäquate Person zu finden, ist nicht so leicht.  

„Unsere” Rita 

Wir hatten erst einmal das Glück, dass „unsere“ Rita frei war. Rita war bereits bei meinen beiden letzten Schwangerschaften der Engel der den Laden am Laufen gehalten hat und mich enorm entlastet hat. Denn, auch wenn ich das jetzt offiziell nicht schreiben sollte, trotz Krankschreibung und Betriebshilfe muss Mann oder Frau im landwirtschaftlichen Betrieb trotzdem ran. Krank oder nicht. Mit 8 Stunden ist die Arbeit in Haus, Hof(-Laden) und Büro nämlich noch lange nicht erledigt.

Rita war zu dem Zeitpunkt Betriebs- und Haushaltshilfe bei der SVLFG und konnte recht schnell bei uns anfangen. Wir haben den Kontakt nach den Geburten der Mädels nie aufgegeben und erstmal eine Runde geheult. Rita wäre lieber wegen einer erneuten Schwangerschaft zu uns gekommen, als wegen der Diagnose Brustkrebs. Unser Riesenvorteil war so, dass die Kids Rita kannten (und liebten 😉) und sich bei den ganzen Turbulenzen, die es grade so in Ihrem Leben gab, nicht noch auf eine fremde Person einstellen mussten. Rita hat den Haushalt geschmissen, für die ganze Mannschaft gekocht und Christoph zusätzlich draußen, so weit wie möglich unter die Arme gegriffen.

Ein großer Schritt für den Betrieb 

Ohne unsere Azubis, unseren Mini-Jobber Timo, meine Perle Heidi, Familie und Freunde, hätten wir das Jahr in keinem Fall wuppen können. Im August haben wir uns zudem entschieden im Jahr 2022/2023 keine Azubis auszubilden, sondern den Schritt zu wagen einen Festangestellten Mitarbeiter zu beschäftigen. Für uns als Familienbetrieb ein großer Schritt. Mental und auch finanziell, aber rückblickend eine absolut gute Entscheidung.Unser“ Tjardo ist Landwirt, kommt vom Hof, kann ganz eigenständig arbeiten und hat uns stark entlastet.  

So hat er zum Beispiel seine Arbeitszeit aufgeteilt und war morgens vier Stunden und abends vier Stunden da, sodass die Melkzeiten während der Woche immer abgedeckt waren. Am Wochenende hatte Christoph Unterstützung von Fiete, einem (mittlerweile) jungen Mann, der seine Freizeit bei uns auf dem Hof verbringt und freiwillig zu den Melkzeiten kam, um zu helfen. Das war Gold wert! 

Das Helfer:innen-Netz

Mein Schwager und Schwiegervater unterstützten draußen auf dem Hof. Unsere Babysitterin Malin und befreundete Familien halfen bei der Betreuung der Kindern aus, wenn mal gar nichts ging so wie an den Tagen, an denen ich die Chemotherapie bekommen hatte, da war ich wirklich platt.

Meine Schwester, Mutter und Tante wechselten sich so gut es ging an den Wochenenden ab, um mich zu unterstützen. Nach der OP und während der Bestrahlung war dies aus vielen Gründen nicht mehr möglich und die Wochenenden wurden zu riesigen Kraftanstrengungen. 

Wenn ich jetzt wirklich reflektiert auf das Jahr 2022 zurückschaue, muss ich ganz klar sagen: es war die Hölle und ich würde so Vieles anders machen.“

Obwohl unser „Netz“ schon so weit reichte, war es immer noch zu viel. Wenn ich jetzt wirklich reflektiert auf das Jahr 2022 zurückschaue, muss ich ganz klar sagen: es war die Hölle und ich würde so Vieles anders machen. Aber das kennt man ja: Hinterher ist man bekanntlich immer schlauer. 

Die omnipräsente Arbeit 

In einem landwirtschaftlichen Betrieb ist die Arbeit immer präsent. Ich konnte also die Arbeit nie hinter mir lassen. Immer hatte ich vor Augen, was alles liegen blieb, weil ich nicht auf der Höhe war. Von unseren drei Kindern und alles was an Care-Arbeit zu leisten ist, ist jetzt noch gar nicht die Rede. Das kommt ja einfach noch obendrauf.

Um mir selbst zu beweisen, dass der Krebs mich nicht in die Knie zwingt und mein permanent schlechtes Gewissen zu beruhigen, arbeitete ich wesentlich mehr als mein Körper und auch meine Psyche eigentlich ausgehalten hat. Dies habe ich erst Anfang dieses Jahres bemerkt, als die Behandlungen eigentlich rum waren. Ich wollte wieder voll durchstarten und merkte: Nichts geht mehr. Und damit meine ich nichts! Ich war physisch und psychisch vollkommen platt.

„Wie oft wollte ich mich einfach nur hinlegen. Dann klingelte es an der Haustür, ein Suppenhuhn wollte verkauft werden oder der Milchautomat funktionierte nicht.“

Wie oft wollte ich mich einfach nur hinlegen. Dann klingelte es an der Haustür, ein Suppenhuhn wollte verkauft werden oder der Milchautomat funktionierte nicht. Das Telefon klingelte, ich lief runter ins Büro, um etwas nachzuschauen. Die ganze administrative Arbeit im Betrieb (Buchführung, Finanzen, Abrechnungen, Ladenkasse, etc.) schmeiße ich, seitdem die Kids da sind, überwiegend komplett. Ich habe meine Bürofee Sylvia, die mich bei den Monatsabrechnungen unterstützt und ohne die ich vollkommen aufgeschmissen wäre, aber trotzdem musste ich einen Tag Büro unterbekommen. Egal wie es mir ging. Das Finanzamt fragt nicht.  

Wenn genügend Kraft da war, habe ich mich abends noch in Stadtrats- oder Kreistagssitzungen geschleppt. Ich wollte dem Krebs ja schließlich zeigen, wo der Hammer hängt. Das wurde aber immer weniger, denn nachmittags waren ja auch noch die Kinder da. Hausaufgaben, Turnen, Fußball, Ich wollte für die Kinder so viel Normalität wie möglich, also fuhr ich sie die meiste Zeit überall hin, obwohl mir einfach Elend zu Mute war.

Wie schwer es ist, nach Hilfe zu fragen 

Ja, ich hätte nach Hilfe fragen können, aber das ist mir schon immer schwergefallen. Ich erledige am liebsten effizient alles selbst. Irgendwann kam ich an den Punkt, wo es mir zu anstrengend war Hilfe zu organisieren und so habe ich mich durch alles durchgeschleppt.

Hätte eine:r gesagt: „Ich erledige das jetzt alles für dich!“ Ich hätte wahrscheinlich dankend angenommen. Nach Hilfe gefragt habe ich aber trotzdem nicht. Völlig verrückt, wie ich heute finde. Ich habe immer gelächelt und gesagt, dass ich das hinbekomme …

War aber nicht so und damit habe ich mir echt einen Bärendienst erwiesen. Aber wie schon geschrieben, hinterher ist man ja immer schlauer …

Es war echt so belastend nie meine Ruhe zu haben. Das habe ich mir wirklich immer wieder gewünscht.“

Es war echt so belastend nie meine Ruhe zu haben. Das habe ich mir wirklich immer wieder gewünscht.

Meine Schwester und ich sind dann irgendwann vier Tage nach Belgien ans Meer gefahren, weil meine Akkus sowas von leer waren. Dort wäre ich am liebsten geblieben … ging aber nicht. Es muss ja weitergehen.

Zu welchem Preis auf die Schulter geklopft? 

So irre das klingt, zum einen war es gut, dass ich immer „on fire“ war. Ich denke, das hat definitiv geholfen dem Krebs einen Arschtritt zu verpassen. Ich bin aber auch durch die Krankheit gerauscht und kam einfach nicht zur Ruhe.

Viele sagen heute zu mir: “Es ist so toll, wie du das gemeistert hast“. Ja, auf eine Schulter kann ich mir definitiv klopfen, der Wille durchzuhalten war da und Gold wert! Aber zu welchem Preis? 

Landwirtschaft war und ist mein absoluter Traumberuf. Meine Erkrankung hat mir aber eiskalt vor Augen geführt, dass es kaum einen Job gibt der so erbarmungslos ist, wenn es einem nicht gut geht. Das macht mich bis heute sehr nachdenklich.

Gemolken werden muss immer, egal was passiert. Die Tiere haben immer Vorrang. Alles andere steht hinten an.“

Gemolken werden muss immer, egal was passiert. Die Tiere haben immer Vorrang. Alles andere steht hinten an. Wenn keine Hilfe da war, bin ich durch den Stall geschlichen, habe Christoph wenigstens die Kühe beigetrieben und die Liegeboxen sauber gemacht. Danach habe ich mich wie nach einem Marathon gefühlt. Wäre ich im Bett liegen geblieben, hätte ich wahrscheinlich Magengeschwüre bekommen vor schlechtem Gewissen.

Nach der Mastektomie 

Richtig übel wurde es aber nach meiner Mastektomie (der großen OP, bei der meine Brüste inklusive Arschi, dem Tumor, entfernt wurden). Kurz vor dieser OP ging Rita nach über 40 Jahren als Betriebshelferin in den wohlverdienten Ruhestand und mein Anspruch auf Betriebshilfe erlosch. Das Team der Sozialversicherung in Kassel hat mehrfach eine Verlängerung erwirkt, ich konnte stundenweise noch eine selbstbeschaffte Betriebshilfe bekommen, aber als ich frisch operiert aus der Klinik kam, war Schluss.

Meine Schwester hatte sich eine Woche Urlaub genommen und danach war ich gefühlt auf mich allein gestellt. Ich weiß noch, als sie gefahren ist, habe ich im Schlafzimmer gesessen, mich so furchtbar gefühlt und geheult ohne Ende. Ich habe gekocht, die Kinder versorgt, Eier sortiert und den Hofladen bestückt. Büro nachgearbeitet und Wäsche gemacht. Ende November starb meine Tante völlig unerwartet. Sie war wie eine zweite Mama für mich und hat mich während der Krankheit super viel unterstützt. Erbarmungslos starteten dann die Bestrahlungen. Ich habe echt gedacht, das schaffst du jetzt nicht. Aber es ging immer weiter.

Mit etwas Abstand betrachtet 

Heute – mit etwas Abstand, weiß ich, dass ich total falsch gehandelt hab und es mir unnötig schwer gemacht habe. Ich habe stark sein wollen, hätte aber viel mehr um Hilfe bitten und ausruhen müssen. Ich hoffe, indem ich so offen darüber spreche, Frauen und Männer aufrütteln zu können, die sich gerade in einer ähnlichen Situation befinden. Ich weiß aber auch, dass im landwirtschaftlichen Bereich etwas passieren muss.

Betriebshilfe ist eine wichtige Errungenschaft, aber eine Krebserkrankung dauert in der Regel 12 bis 18 Monate, hier sprechen wir nur von den Behandlungen. Der Betrieb läuft immer weiter, egal wie. Das ist nicht zu stemmen und ich wünsche keinem Betriebsleiter, keiner Betriebsleiterin, das durchmachen zu müssen. Gerade Frauen halten den Laden und die Familie zusammen. Aber auch wir Frauen, wir Unternehmerinnen, wir Mamas haben ein Recht darauf zusammenzubrechen, nicht mehr zu können.

Aber auch wir Frauen, wir Unternehmerinnen, wir Mamas haben ein Recht darauf zusammenzubrechen, nicht mehr zu können.“

Hier muss einiges passieren und ich werde mich mit ganzem Herzen dafür einsetzten, dass diese Problematik Gehör findet und Lösungen erarbeitet werden! Das wünsche ich mir für alle Frauen, aber auch für erkrankte Männer auf den Betrieben und somit habe ich wieder eine neue Aufgabe. Das ist gut! Gelernt habe ich aber definitiv, dass auch ich nicht Superwoman bin, meine Grenzen habe und auch mal was für mich tun muss.

Magdalena

P.S.: Memo an mich selbst: Nach Hilfe fragen macht durchaus Sinn!!!

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