Pflegende Angehörige leisten täglich Unglaubliches – oft im Verborgenen, mit viel Hingabe und wenig Unterstützung. Im Rahmen der Woche der pflegenden Angehörigen in Schleswig-Holstein haben wir Menschen aus unserer Klönstedt-Community gefragt, was es für sie bedeutet, einen geliebten Menschen zu pflegen. Ihre offenen und bewegenden Antworten zeigen nicht nur die Herausforderungen, sondern auch die besonderen Momente, die ihnen Kraft geben.

Die Woche der pflegenden Angehörigen lenkt den Blick auf Menschen, die Tag für Tag ihre Zeit, Energie und Liebe einsetzen, um ihre Angehörigen zu unterstützen. Sie sind oft stille Held:innen, die trotz eigener beruflicher und familiärer Verpflichtungen eine immense Verantwortung tragen. Wir haben in unserer Klönstedt-Community nachgefragt und drei Stimmen gefunden, die bereit waren, ihre Erfahrungen zu teilen. Von der täglichen Organisation bis hin zu den emotionalen Höhen und Tiefen – ihre Geschichten geben einen Einblick in die Realität der Pflege und zeigen, wie wichtig Unterstützung und Anerkennung sind. Ihre Berichte sind nicht nur bewegend, sondern auch eine eindringliche Erinnerung daran, dass hinter jeder Zahl in der Statistik ein Mensch und seine Geschichte stehen.

Hanna, pflegende Mutter

1. Wie bist du in die Rolle der pflegenden Angehörigen gekommen?

Mein fünfjähriger Sohn hat die Diagnose frühkindlicher Autismus. Kurz nach seinem zweiten Geburtstag wurden massive Auffälligkeiten deutlich im Vergleich zur Zwillingsschwester.

2. Was bedeutet es für dich persönlich, jemanden zu pflegen?

Immer auf Abruf parat zu sein, finanzieller Mehraufwand durch kaputte Dinge, ständige bürokratische Aufgaben zu haben.

3. Welche Herausforderungen begegnen dir im Alltag am häufigsten?

Dass unsichtbare Behinderungen nicht immer wahrgenommen werden bzw. herabgespielt werden. Blicke von außen. Auch wenn ich offensiv damit umgehe.

4. Gab es in dieser Zeit auch besondere Momente oder Erlebnisse, die dir Kraft gegeben haben?

Die Diagnose. Der Platz in einer heilpädagogischen Kleingruppen-KiTa nach einem Umzug. Der Umgang anderer Kinder mit ihm. Das erste Mal „Mama“ nach einem Jahr.

5. Wie hat sich deine Sicht auf das Leben oder auf Beziehungen durch deine Pflegeerfahrung verändert?

Dass Gesundheit das höchste Gut ist. Dass mein Sohn auf seine Weise trotzdem glücklich sein kann und darf.

6. Was würdest du anderen Menschen mit auf den Weg geben, die sich in einer ähnlichen Situation befinden?

  • Sucht euch eine:n Diagnostiker:in.
  • Fragt bei Menschen, die für euch da sind, um Unterstützung.
  • Lasst den Kopf nicht hängen.

7. Was wünschst du dir von der Gesellschaft oder von deinem Umfeld als Unterstützung für pflegende Angehörige?

  • Keine Floskeln wie: „Ich könnte das nicht.“
  • ehrliches Interesse
  • Sonderurlaub für Ärzt:innentermine

8. Gibt es etwas, das du gerne mit anderen teilen möchtest, das dir in dieser schwierigen Zeit geholfen hat oder das dir am Herzen liegt?

Macht euch selbst über die Diagnose des Angehörigen schlau, sofern es möglich ist.

9. Was würdest du dir von der Politik oder den Entscheidungsträgern wünschen, um die Situation für pflegende Angehörige zu verbessern?

  • Sonderurlaub
  • angepasster Verdienstausfall
  • inklusive Angebote wie Betreuung, Sport, etc.

Susanne, pflegende Tochter

Mein Name ist Susanne, ich bin 43 Jahre alt, verheiratet und habe zwei Kinder (15 & 17).
Mein Vater ist vor sechs Jahren gestorben. Danach habe ich für meine Mutter einen Pflegegrad beantragt, da sie in ihrer Kindheit Polio hatte und dadurch körperlich eingeschränkt ist. Ich bin ihre einzige Tochter und Angehörige, daher war es für mich selbstverständlich, mich darum zu kümmern. Da ich selbst auch als Fachkraft in der Sozialstation bei uns in der Gemeinde arbeite, hatte ich natürlich auch eine gute Grundlage und zahlreiche Erfahrungen damit. Nach einem Sturz mit anschließender Operation und Reha wurde der Pflegegrad einmal erhöht. Zurzeit ist meine Mutter wieder relativ selbstständig. Ich gehe nur regelmäßig für sie einkaufen und begleite sie bei Arztbesuchen. Alle zwei Wochen kommt eine Haushaltshilfe, die über die Pflegekasse abgerechnet wird. Oft habe ich das Gefühl, zu wenig Zeit für sie zu haben, da ich natürlich auch beruflich und familiär eingespannt bin.

Dschungel der Möglichkeiten

Auch mein Schwiegervater ist pflegebedürftig. Den Hauptteil der Pflege von ihm übernimmt noch meine Schwiegermutter, aber den ganzen Papierkram erledige ich.
Es ist trotz meiner beruflichen Erfahrung noch mal etwas anderes, sich im Dschungel der Möglichkeiten, besonders finanziell, zurechtzufinden. Es gibt kaum Quellen, die alle Ansprüche – Rente, Steuern, Behindertenausweis, Wohngeld bzw. Lastenzuschuss – oder Verteilungsmöglichkeiten auflisten. So habe ich erst im letzten Jahr herausgefunden, dass ich auch steuerliche Vorteile geltend machen kann, da ich das Pflegegeld nicht bekomme. Auch, dass die Pflegekasse teilweise in die Rentenversicherung einbezahlt – unter bestimmten Voraussetzungen –, ist vielen pflegenden Angehörigen nicht bekannt. Insgesamt ist das alles viel zu kompliziert und oftmals langwierig in der Beantragung bzw. Bewilligung.

Sich rechtzeitig Hilfe suchen

Was ich allen Angehörigen mitgeben möchte, ist die Bitte, sich rechtzeitig Hilfe zu suchen. Sei es erstmal nur als Beratung oder direkt über ambulante Pflegedienste und auch in der Familie ganz klar und deutlich über die Versorgung bei fortschreitender Erkrankung zu sprechen und evtl. dann auch stationäre Versorgung in Betracht zu ziehen. Die Wartelisten dort sind mittlerweile lang, und auch viele ambulante Dienste müssen Patienten mittlerweile ablehnen, da überall Personal fehlt. Es ist leider so.
Aber der essenzielle Ratschlag, den ich auch beruflich immer gebe, ist, dass jede Pflegeperson auch auf sich schauen muss und man sich nicht komplett aufgeben darf, denn wenn diese Person ausfällt, bricht das ganze System zusammen und es gibt wenig kurzfristige Lösungen für den pflegebedürftigen Menschen.

anonym, pflegende Mutter

1. Wie bist du in die Rolle der pflegenden Angehörigen gekommen?

Mein Sohn wurde mit einem schweren Gendefekt, der einige organische Schäden mitgebracht hat, geboren.

2. Was bedeutet es für dich persönlich, jemanden zu pflegen?

Pflege bedeutet für mich, dass man sein eigenes Leben hintenanstellen muss, da man, wie in meinem Fall, nicht nur Mama ist, sondern plötzlich auch Krankenschwester / Pflegerin, Ärztin, Lehrerin, Krankenkassenmitarbeiterin und Betreuungskraft ist. Da es leider viel zu wenig Unterstützung vom Staat gibt, muss man sein Leben komplett umkrempeln, um die Betreuung und Pflege sichern zu können.

3. Welche Herausforderungen begegnen dir im Alltag am häufigsten?

Die häufigsten Herausforderungen waren bei uns klar die Pflege und die Alltagssituationen. Man möchte irgendwo hingehen, muss aber vorher abklären, ob es dort wirklich barrierefrei ist. Mein Sohn saß leider im Rollstuhl, und mal eben irgendwo essen gehen, schwimmen fahren oder auf den Spielplatz gehen, musste vorher wirklich gut geplant werden. Sind die Barrieren zu überwinden? Kann man den Rollstuhl irgendwo gesetzt abstellen? Ist genug Platz beim Essen für einen Rollstuhl?

4. Gab es in dieser Zeit auch besondere Momente oder Erlebnisse, die dir Kraft gegeben haben?

Mein Sohn war ein ganz besonderes Kind. Er hat trotz seines ewigen Kampfes und der ganzen Rückschläge nie den Mut und sein Lächeln verloren, und das hat einem die Kraft gegeben. Als er seinen Rollstuhl bekam, war er gerade 5 Jahre alt, und ich hatte wahnsinnige Angst, ihn damit in die KiTa zu schicken. Aber die KiTa und die Kinder in der KiTa (eine ganz normale Dorf-KiTa) haben gezeigt, was Inklusion und Toleranz heißen. Ebenso seine Einschulung in eine Schule für körperlich eingeschränkte Kinder – auch dort bedingungslose Inklusion und Toleranz. Solche Situationen gaben Kraft.

5. Wie hat sich deine Sicht auf das Leben oder auf Beziehungen durch deine Pflegeerfahrung verändert?

Mein Leben hat sich dadurch komplett geändert. Alles drehte sich nur noch um die Pflege unseres Sohnes. Ich habe mir nach 16 Jahren in ein und demselben Betrieb einen neuen Job in einer ganz anderen Sparte suchen müssen, die mir so gar nicht zusagt, damit ich die Pflege sichern kann. Meine Ehe stand so oft vor dem Aus, weil die Pflege so viel Raum einnimmt, dass kein Platz für anderes übrigbleibt. Vor meinem Sohn war ich mindestens alle zwei Monate beim Friseur. Mit meinem Sohn freute ich mich, wenn ich es einmal im Jahr geschafft habe. Von den finanziellen Sorgen wollen wir nicht sprechen; Pflegegeld ist toll, reicht aber meist nicht mal ansatzweise aus, wenn man bedenkt, dass man seinem Job in dem Umfang mit den Stunden gar nicht mehr nachgehen kann.

6. Was würdest du anderen Menschen mit auf den Weg geben, die sich in einer ähnlichen Situation befinden?

Lasst euch beraten, was für Hilfen euch zustehen. Traut euch, zu widersprechen, nehmt nicht alles so hin, wie die Krankenkassen es euch sagen. Habt Mut, für euch und euren Pflegling einzustehen.

7. Was wünschst du dir von der Gesellschaft oder von deinem Umfeld als Unterstützung für pflegende Angehörige?

Mehr Toleranz, Inklusion und Privatsphäre. Mein Sohn hatte aufgrund seiner Organschäden eine gelb-grüne Hautfarbe, und wir wurden so oft angestarrt, beim Einkaufen verfolgt, damit sie noch mal einen Blick auf meinen Sohn werfen konnten. Sowas muss nicht sein.
Wie oft wurde ich belächelt, weil ich ja nur 15 bis 20 Stunden in der Woche arbeiten war, obwohl mein Sohn doch schon 7 Jahre alt war. Dass ich aber auf maximal 4 bis 5 Stunden Schlaf kam, weil mein Sohn unruhig war und so oft eingenässt hat aufgrund seiner Organschäden, wurde übersehen. Wie oft wurde gesagt, wie toll es doch sei, dass mein Sohn gerne ausgeschlafen hat. Was aber nicht gesehen wurde, war, dass er seine letzten Medikamente erst um 22:30 Uhr bekommen hat, und das für einen 7-Jährigen halt echt spät ist.

8. Gibt es etwas, das du gerne mit anderen teilen möchtest, das dir in dieser schwierigen Zeit geholfen hat oder das dir am Herzen liegt?

Nicht von jedem ungefragt die Meinung bekommen, wenn man nicht weiß, was alles dahintersteckt.
Man sieht den Menschen nicht immer an, wie krank sie sind und wie viel Pflege und Kraft das für alle bedeutet.

9. Was würdest du dir von der Politik oder den Entscheidungsträgern wünschen, um die Situation für pflegende Angehörige zu verbessern?

Finanziell ist es einfach nicht ausreichend, was an Pflegegeld kommt. Auch sollte man über Sonderurlaub für pflegende Angehörige nachdenken. Überhaupt zu verstehen, was Sachleistungen, Verhinderungspflege und Entgeltleistungen sind, ist für einen Laien kaum bis gar nicht zu verstehen. Auch unser Pflegedienst war nur auf Erwachsene ausgelegt. Gerade Kinder fallen hier immer wieder durch das Raster. Hier haben Pflegedienste meist gar keine Ahnung, was es für Möglichkeiten gibt, die Eltern unterstützen können.
Mein Vater ist 2020 an einem Hirntumor erkrankt. Einen Kurzzeit-Pflegeplatz oder Hospizplatz konnte man nicht bekommen, da alles belegt war oder die Heime zwar Platz hatten, aber kein Personal. So etwas darf nicht passieren.
Operationen, die verschoben werden, weil kein Personal auf den Intensivstationen Wie oft konnten wir nicht in unser Hauptkrankenhaus gebracht werden, weil dort keine Betten oder kein Personal vorhanden waren. Heime und Krankenhäuser müssen hier viel besser unterstützt werden.

Es ist so unglaublich, wie lange auch die Bearbeitungszeiten bei Ämtern und Krankenkassen sind. Auf die Genehmigung einer Schulbegleitung mussten wir bis kurz vor der Einschulung hoffen, obwohl sie schon im Januar mit einem formlosen Antrag beantragt wurde. Häufig fühlt sich keiner für einen verantwortlich, gerade bei Ämtern. Man wird nur hin und her gereicht, so etwas ist einfach nervenaufreibend, und das kann man gerade, wenn die Zeit sowieso schon begrenzt ist, weil man arbeiten muss, pflegen muss und dann noch soziale Aspekte hat, nicht gebrauchen. Wie viel Zeit wir alle in Warteschleifen und beim Raussuchen irgendwelcher Nummern vergeuden, ist so immens. Diese Zeit fehlt uns dann wieder in der Pflege.
Mehr Transparenz: Warum werden Anträge abgelehnt? Wer ist für was zuständig?

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Ein herzliches Dankeschön an die drei Frauen, die sich die Zeit genommen haben, ihre Geschichten mit uns zu teilen. Eure Offenheit und Ehrlichkeit geben uns einen tiefen Einblick in die Herausforderungen, aber auch in die besonderen Momente des Lebens als pflegende Angehörige. Wir wissen, dass es nicht leicht ist, über solche persönlichen Erlebnisse zu sprechen, und schätzen es sehr, dass ihr uns daran teilhaben lasst. Mit euren Worten macht ihr anderen Mut und zeigt, dass niemand allein ist in dieser Aufgabe.

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