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Foto: DLRG

Nicht einmal jedes zweite Kind im Alter von zehn Jahren kann richtig schwimmen. Warum das so ist und was man dagegen tun kann, darüber haben wir im Interview mit Patrick Lorenz gesprochen, dem Technischen Leiter Ausbildung der DLRG St. Peter-Ording.

Laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag der DLRG kann in Deutschland nicht mal jedes zweite Kind im Alter von 10 Jahren richtig schwimmen. Warum lernen heutzutage immer weniger Kinder zu schwimmen?

Das hat unter anderem mit der zunehmenden Digitalisierung zu tun. Viele Kinder sitzen häufig vor dem Fernseher, dem Handy oder der Spielekonsole und sind sehr schwer für Outdoor-Aktivitäten zu begeistern. Gerade auch, wenn die Eltern durch ihre Berufstätigkeit nicht so viel Zeit haben, um die Kinder noch in den Sport- oder in den Schwimmverein zu bringen. Ein weiterer Punkt ist nämlich, dass die Wege zu den Schwimmbädern und den Ausbildungsbetrieben immer weiter werden. Weil sie rote Zahlen schreiben und für die Betreiber oder die Träger einfach zu teuer sind, schließen immer mehr Schwimmbäder. Außerdem leiden sie unter Personalmangel. Bademeister:innen werden momentan flächendeckend händeringend gesucht, weshalb die Wasserflächen nicht mehr überall bewacht werden können. Und dementsprechend fallen Kapazitäten weg, um Schwimmunterricht anbieten zu können und die Familien müssen dafür immer weitere Wege in Kauf nehmen.

Hat die Corona-Pandemie die Situation noch verschlimmert?

Definitiv! Wir haben pandemiebedingt in St. Peter gut anderthalb Jahre gar keine Kurse mehr anbieten können. Und zwar entweder, weil das Schwimmbad aufgrund der behördlichen Auflagen geschlossen war oder aber, weil wir es aufgrund des bestehenden Hygienekonzepts einfach nicht umsetzen konnten. In Hochzeiten sind es bei uns von Beginn bis Ende eines Kurstages 100 Kinder. Und unter den Auflagen hätten wir es gar nicht schaffen können, diese so zu beaufsichtigen, dass wir in der Umkleidekabine gucken, dass die Abstände eingehalten werden und, dass sie dort ihren Mund-Nase-Schutz tragen. Dazu kamen die Impf-Nachweiskontrollen am Eingang. Das alles hätte sehr viel Personal und Zeit bedeutet und auch viele Unannehmlichkeiten, weil natürlich das Schwimmbad darauf bedacht war, überhaupt Menschen schwimmen lassen zu können. Durch die Regelungen stand für uns weniger Schwimmfläche zur Verfügung und so mussten wir für anderthalb Jahre komplett zu machen und konnten danach nur eingeschränkt weitermachen.

Als wieder mit den Schwimmausbildungen beginnen konnten, konnten wir uns vor Anfragen gar nicht retten. Denn diejenigen, die ihren Kurs vor Corona angefangen hatten, wollten ihn natürlich abschließen. Gleichzeitig gab es aber natürlich ganz viele neue Kinder, die schwimmen lernen sollten. Wir mussten dann leider zum Teil ein bisschen bremsen und konnten nicht alle Anmeldungen annehmen.

Das ist nun eine gewisse Gefahr, die besteht, weil die Jahrgänge, die eigentlich schon hätten schwimmen lernen sollen und das aufgrund der Pandemie nicht geschafft haben, nun erstmal ohne dastehen. Und nun kommt der Sommer, mit Freibadsaison und Saison an Nord- und Ostseeküste. Wenn dann Defizite in der Schwimmausbildung bestehen, ist das natürlich für die Eltern nicht ungefährlich, wenn sie ihre Kinder im Meer schwimmen lassen ohne, dass diese die erforderliche Ausbildung oder Kondition nachweisen können.

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Foto: DLRG

Laut WHO hat gleichzeitig die Zahl der Badeunfälle in den letzten Jahren extrem zugenommen.

Das ist grundsätzlich richtig. Bei uns in St. Peter hatten wir glücklicherweise schon recht lange keinen Badeunfall im klassischen Sinne mehr, an dem ein Kind beteiligt war. Was wir schon merken, ist, dass die Kinder sich nicht mehr richtig weit reintrauen oder maximal bis zu den Knien im Wasser stehen. Wenn man dann die einzelnen Kinder anspricht, weil man wissen möchte, wo das Elternteil ist, erzählen sie dann, dass sie gar nicht schwimmen können, es aber gerne würden. Da merkt man, dass teilweise Interesse da ist, aber keine Möglichkeit besteht, schwimmen zu lernen.

Was können Eltern für Vorkehrungen treffen, wenn Kinder nicht schwimmen können, man aber trotzdem einen Badeurlaub macht?

Das oberste Gebot ist immer ein wachsames Auge auf die Kinder zu haben. Außerdem: Schwimmflügel benutzen! Gerade ältere Kinder finden vielleicht, dass das nicht cool aussieht – das ist ein ganz großes Problem. Dabei ist es unheimlich wichtig, dass man bei Nichtschwimmer:innen auf Auftriebsmittel wie Schwimmhilfen achtet.
Bei uns an der Nordsee sollte man außerdem die Gezeiten bedenken, die Winde im Blick haben – und z. B. nicht bei ablandigem Wind mit aufblasbaren Schwimmhilfen, Luftmatratzen oder Schwimmbrettern aufs Wasser gehen, weil die Gefahr da ist, dass man abtreibt. Und ganz wichtig: wenn die Kinder wirklich noch nicht schwimmen können, darf man sie nicht unbeobachtet lassen und sie maximal bis zu den Knien ins Wasser lassen. Weiter rein geht es nur mit Begleitung von Erwachsenen.

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Die Wasserrettung von St. Peter-Ording bei einer Übung. Foto: DLRG SPO

Kinder ertrinken schon innerhalb von 30 bis 60 Sekunden, richtig?

Ja, das geht ganz schnell. Und es ist meist ein stilles Ertrinken. In Filmen wird es immer spektakulär dargestellt. Alle rufen um Hilfe und wedeln wild mit den Armen, das ist aber ganz häufig in der Realität nicht so. Die Kinder verlieren an Kraft, bekommen vielleicht noch einen Krampf im Fuß und sind von einer auf die andere Sekunde weg – ohne, dass irgendjemand durch Schreien oder Strampeln etwas mitbekommen hat. Dementsprechend ist die Gefahr groß, dass man jemanden, der gerade Hilfe braucht, einfach übersieht.

Dass die Zahl der Kinder, die schwimmen lernen, abnimmt, stellt uns vor ein Problem, weil wir im Wachdienst sehr viel mehr auf die einzelnen Kinder achten müssen und nicht mehr davon ausgehen können, dass Kinder ab einem gewissen Alter zuverlässig schwimmen können. Denn nicht jedes Kind trägt ein Abzeichen, das uns noch mal vor Augen führt, was das Kind ungefähr an Schwimmfähigkeiten hat.

Es ist also sinnvoll, die Abzeichen, auch tatsächlich auf den Badeanzug oder die Badehose zu nähen?

Auf jeden Fall! So können die Kinder durch die Rettungsschwimmer:innen gesehen werden und diese können besser einschätzen, inwieweit sie ein Auge auf sie haben müssen. Sind es sichere Schwimmer:innen oder Anfänger:innen? Das macht den Retter:innen am Strand das Leben ein bisschen leichter.

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Wachtdienst am Strand von St. Peter-Ording. Foto: DLRG SPO

Wann ist denn der richtige Zeitpunkt für einen Seepferdchen-Schwimmkurs?

Es gibt Wassergewöhnungskurse, die man mit Kindern ab 3 bis 4 Jahren machen kann. Dort kann man im Babybecken die Kinder überhaupt erstmal an Wasser gewöhnen. Wie fühlt sich das an? Ist das Wasser angenehm? Man macht sie mit dem Wasser vertraut, aber gleichzeitig ist die körperliche Nähe zu den Eltern noch da. Je älter die Kinder werden und je sicherer sie sich dann im Wasser fühlen, desto weiter kann man gehen. Bei uns in der Seepferdchen-Gruppe sind die meisten Kinder zwischen 4 und 6 Jahren alt.

Gibt es ein Alter, in dem es zu spät ist, schwimmen zu lernen?

Nein, überhaupt nicht. Es gibt kein Alter, indem man sagt, ich kann das jetzt nicht noch lernen. Wir geben Kurse für Erwachsene, die früher vielleicht mal ein halbes Seepferdchen gemacht haben, aber seit ewigen Jahren aus irgendwelchen Gründen nicht mehr geschwommen sind. Auch im Erwachsenenalter ist es nie zu spät.

Wenn Kinder das Seepferdchen haben, dann können sie sich erstmal nur ganz gut über Wasser halten. Ab wann können Kinder sicher schwimmen?

Das ist ganz individuell. Erfahrungsgemäß kann man sagen, dass Kinder ab dem Gold-Abzeichen sichere Schwimmer sind. Und darunter sollte man Kinder nicht allein – auch nicht kurz – ins tiefere Wasser lassen. Alles vor dem Gold-Abzeichen ist nice to have, aber erst danach können sie die Anforderungen für sicheres Schwimmen erfüllen.

Wie können Eltern ihre Kinder beim Schwimmen lernen unterstützen?

Indem sie vorweg den Kindern die Angst nehmen. Von eigenen Schwimmerfahrungen erzählen. Selbst mit den Kindern in eine Therme oder in ein Schwimmbad fahren und beim Kursbeginn dabeibleiben, um Ängste zu nehmen. Und ansonsten, falls die Kinder schon älter sind, ein bisschen locken mit Urlauben am Strand, mit gewissen Wasseraktivitäten, die man machen kann, z. B. Wasserball oder Banana-Boot fahren. Das sind alles Dinge, die – wenn man sicher schwimmen kann – viel Spaß machen. Es ist sehr motivierend, wenn man sich einmal vor Augen führt, was für eine Welt einem offen steht, wenn man das Element Wasser für sich entdeckt hat.

Was macht ihr in St. Peter-Ording, um möglichst viele Kinder zu erreichen?

Durch eine individuelle, persönliche Betreuung gelingt es uns meist, dass die Kinder schnell Vertrauen zu uns fassen. Und mit der Art und Weise wie wir den Unterricht gestalten, versuchen wir die Freude am Wasser zu fördern, damit die Kinder von sich aus schon mit dabeibleiben möchten. Je älter die Kinder werden und je mehr Schwimmabzeichen sie nachher machen, kommen sie dann auch in ein Jugendalter, in dem wir sie dann aktiv ansprechen, in unserer Jugendeinsatz-Gruppe mitmachen zu wollen. Das heißt, wir bieten Aktionstage an, wo wir ihnen das Thema Wasserrettung bei uns an der Nordsee näherbringen und einfach mal zeigen, wie man die Rettungsgeräte benutzt. Wir erklären, was die DLRG eigentlich am Strand macht und welche Möglichkeiten es gibt, um sich einzubringen.

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Zur Ausstattung der DLRG in St. Peter-Ording gehören auch Jetskis. Foto: DLRG St. Peter-Ording

Was kann man als Eltern tun, wenn man keinen Kurs für sein Kind bekommt oder ewig auf einer Warteliste steht?

Interessante Frage, die gar nicht mal so einfach zu beantworten ist. Mein Tipp ist immer: trotz allem am Ball bleiben. Man sollte alle möglichen Sportvereine ansprechen, sei es der Wasserballverein oder DLRG-Ortsgruppen. Wenn etwa in der Heimat-Ortsgruppe keine Plätze frei sind, gerne aktiv nachfragen, wie es in den Nachbar-Ortsgruppen aussieht oder sich bei anderen Wassersportvereinen informieren. Man kann auch auf die Schulen zugehen und fragen, ob es da z. B. eine Schwimm-AG gibt, die außerhalb vom eigentlichen Schulschwimmunterricht zusammenkommt und das Schwimmen trainiert.

Und ansonsten selbst mit den Kindern so gut wie möglich eine Wassergewöhnung machen, bis man dann an einen Platz rankommt. Das heißt, selbst mit dem Kind aktiv ins Wasser gehen und Schwimmbewegungen zeigen, die man sicher beherrscht. Und das Kind weiterhin für Wasser begeistern. Aber vor allem: nicht entnervt aufgeben und sagen, das wird nichts, mach‘ mal lieber eine andere Sportart, sondern alle Kanäle nutzen, die man hat, alle möglichen Vereine abklappern und sich ruhig bei mehreren auf die Warteliste setzen lassen, bis es dann irgendwann klappt.

Welche Maßnahmen müssen, auch von der Politik, getroffen werden, damit wieder mehr Kinder schwimmen lernen?

Es müssen mehr finanzielle Mittel bereitgestellt werden, um die Bäder zu unterstützen, damit sie weiterhin möglichst viele Wasserflächen anbieten können. Das heißt, man muss die Betreiber:innen finanziell unterstützen, um die Bäder aufhalten zu können. Und durch Förderungen dafür Sorge tragen, dass Wasserfläche auch wirklich genutzt werden können, indem finanzielle Verluste ausgeglichen werden. Es gibt Schwimmbäder, die würden gerne zwei ihrer vier Bahnen für Schwimmunterricht zur Verfügung stellen, können das aber nicht, weil ihnen ansonsten diese zwei Bahnen fehlen und man weniger Schwimmer:innen in den normalen Schwimmbetrieb reinlassen kann. Außerdem muss der Beruf Bademeister:in attraktiver gestalten werden in Form von besserer Bezahlung und besserer Informationsgestaltung.

Wichtig sind auch Infokampagnen, um über Werbespots in Kinos und Anzeigen in Zeitungen aktiv für den Schwimmunterricht zu werben und Rettungsschwimmer:innen anzusprechen, um diese für die Schwimmausbildung gewinnen zu können.

Hier kannst Du das Interview mit Patrick auf Platt anhören:

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