Schleswig-Holsteinerin Marie ist seit der Geburt ihrer Kinder Stoffwindel-Fangirl. Dabei musste sie feststellen, dass Stoffwindeln oft als altmodisch, kompliziert, eklig und aufwändig gelten. Sie findet: Es wird Zeit für einen gedanklichen Richtungswechsel! 

Text & Fotos: Marie Wittrock

Es ist warm draußen – sehr warm. Ich trage nur noch T-Shirt und kurze Hose. Mein großer (3 Jahre) macht es mir nach und der Lütte (9 Monate) trägt nur seine Windel zum T-Shirt. Viele schauen ihn entzückt an: „Oh, was für eine hübsche Hose!“. Wenn ich erkläre, dass es seine Windel ist, scheint das für die meisten plötzlich merkwürdig zu sein. 

Kind liegt in Stoffwindeln und Shirt auf dem Bauch im Kinderwagen

Ich wickle mit Stoff. Und finde, dass es einfach süß aussieht! Um ehrlich zu sein, war das mein Hauptgrund, weshalb ich Stoffwindeln unbedingt ausprobieren wollte. Außerdem konnte ich mir einfach nicht vorstellen, etwas zu kaufen und es dann nach nur kurzer Zeit wieder in die Mülltonne zu werfen. Mein Mann sagte nur: Wenn es nicht passt für uns, war es halt ein Versuch.“ Also habe ich mich belesen, YouTube rauf und runter geschaut und mir vorsichtig eine kleine Erstausstattung besorgt – die gab es von meiner Mama zur Geburt. Sie fand mein Vorhaben direkt großartig, denn sie hatte meine Schwester damals auch mit Stoff gewickelt. „Das war aber noch ganz anders, die Windeln von heute haben hoffentlich nichts mehr damit zu tun!“, meinte sie lachend.

Verschiedene Systeme 

Sie hatte Recht. Es ist ganz anders. Moderne Stoffwindeln sind bunt, unkompliziert, einfach in der Handhabung, vielseitig. Aufbau und Schnitt sind Einmalwindeln inzwischen sehr ähnlich. Innen die Saugeinlage, außen der Nässeschutz, das Anlegen ist easy. Das macht sie auch für fremdbetreuende Personen unkompliziert.

Stoffwindeln im Korb mit Babyhand

Es gibt einteilige Systeme (All-in-Ones), die wirklich wie Einmalwindeln genutzt werden können. Alles ist miteinander vernäht. Anziehen, ausziehen, in den Wäsche- statt Müllsack, fertig. Die zweiteiligen Windeln (All-in-Two) sind am flexibelsten. Nässeschutz und Saugmaterial sind voneinander getrennt, sodass ich alles hineinlegen kann, was ich gerade benötige. Das hat man sehr schnell herausgefunden.

Stoffwindeln sind atmungsaktiv und dadurch verträglicher für empfindliche Babyhaut. Habt ihr schon einmal überlegt, wie es sich wohl – gerade bei sommerlichen Temperaturen – in einer Windel anfühlt? Probiert es doch gern mal aus und steckt für eine Viertelstunde eure Hand in eine Einwegwindel. Das ist recht unangenehm, schwitzig und warm. In Stoffwindeln ist das Klima angenehmer, ein bisschen so, als hätte man im Sommer einen Handschuh an, aber nicht so schwitzig feucht. Dadurch haben Windelausschläge kaum eine Chance, Creme brauchen wir hier höchstens, wenn gezahnt wird.

Hände in Stoff- und Einwegwindel für den Klimatest

Viele Kleinkinder verstehen recht gut, wie ihr Körper funktioniert

Mit Stoffys kann ich steuern, wie es sich in einer Windel anfühlt. Lege ich einen Liner aus Mikrofaser oben auf die Füllung, wird die Nässe von der Haut weggeleitet und es fühlt sich trocken an. Brauche ich mehr Saugkraft als für ein normales Wickelintervall, kann ich mit Hanf die Windel boosten. Ihr seht schon, Stoffwindeln lassen sich sehr individuell an persönliche Bedürfnisse anpassen. Möchte ich meinem Baby ermöglichen, ein Gefühl für seine Ausscheidungen zu bekommen, lasse ich den Liner weg und mein Baby erhält ein Nässefeedback: Es pinkelt, die Windel wird feucht. Viele Kleinkinder verstehen so recht gut, wie ihr Körper funktioniert. Das geht bei Einwegwindeln etwas verloren und bedarf dann häufig mehr Energie beim Trockenwerden. 

Die Kritik, dass man mit Stoffwindeln häufiger wickeln müsse, ist für mich eher Auslegungssache. Ich persönlich MÖCHTE sogar gern häufiger wickeln. Zum einen empfinde ich den Vorgang als Bindungsarbeit und schöne gemeinsame Zeit mit meinem Baby. Ich ermögliche ihm, sich wohler zu fühlen und nicht länger als nötig in seinen Ausscheidungen zu sitzen (auch ein Superabsorber zaubert Urin nicht weg). Zum anderen kommt es für mich auf ein oder zwei Windeln mehr am Tag nicht an – für mein Kind jedoch schon. Neben dem angenehmen trockenen Gefühl fühlt sich mein Kind in seinen Grundbedürfnissen wahrgenommen. Die Waschmaschine wäscht ohnehin etwa alle 3 Tage. 

Normale 60 °C-Wäsche

An dieser Stelle ein großes Dankeschön an alle Waschmaschinenhersteller und die Waschmittelindustrie! Dank euch braucht nämlich niemand mehr Stoffwindeln in einem großen Topf auf der offenen Feuerstelle auszukochen. 60°C mit einem vernünftigen Vollwaschmittel reichen aus, um Windeln, Unterwäsche, Socken, Bettwäsche, Handtücher usw. hygienisch einwandfrei zu waschen. Das geht auch gemeinsam in einer Maschine, dadurch habe ich keinen halbvollen Lauf. Die Windeln kurz vorspülen lassen, Rest dazu und ab geht die Fahrt.

Eine der häufigsten Fragen, die ich bekomme: Und die Kacke wird dann mitgewaschen??? Nein. Bitte keine Kacke in die Waschmaschine. Babys, die zusätzlich abgehalten werden, machen meistens ihr großes Geschäft recht zuverlässig in den Topf. Alle anderen können einfach ein Windelvlies auf die Windel legen. Es gleicht einem Stück Küchenrolle oder Taschentuch, fängt das Grobe auf und kann dann einfach im Restmüll entsorgt werden. Und das ist nicht ansatzweise so eklig, wie man es sich vielleicht vorstellt. Habe ich schon erwähnt, dass Stoffwindeln nach nichts riechen außer dem, was drin ist? Auch das hilft, das Wickeln zu einem schönen Ritual zu machen. Der typische Windelgeruch kommt nämlich durch die Chemie in der Einwegwindel. 

Stoffwindeln auf Wäscheleine

Was ist an Windelmüll so problematisch? 

Der Kleine hat schon im Kreißsaal eine schicke Buxe von Papa bekommen. Beim Großen habe ich erst mit 5 Wochen angefangen, mit Stoff zu wickeln. Daher habe ich Einwegwindeln zumindest mal kennengelernt. Was ich damals nach ein paar Tagen mit Stoffwindeln schon feststellen konnte: Es gibt mir ein unfassbar gutes Gefühl, die benutzte Windel nicht in einen stinkenden Müllsack zu schmeißen, sondern in einen neutral riechenden Wäschesack. Das gleiche Gefühl beschleicht mich auch immer wieder, wenn ich mit Baby auf der Suche nach dem neuen Lieblingsshampoo durch einen Drogeriemarkt streife, aber keine Windeln im Einkaufswagen landen. Es spart innerhalb von etwa 3 Jahren Wickelzeit um die 5.000 Windeln pro Baby, das ist 1 Tonne Müll (Quelle: Quarks). 

Aber was ist an Windelmüll eigentlich so problematisch? Der Saugkern: Natriumpolyacrylat, auch Superabsorber oder kurz SAP genannt, ist nicht recyclebar und nur schwer brennbar, egal ob Ökowindel oder nicht. Zum Beispiel wird Natriumpolyacrylat auch als Brandbekämpfungsmittel eingesetzt. Angesichts dessen finde ich es auch vertretbar, für Stoffwindeln mal den Trockner zu benutzen, wenn man wenig Platz hat zum Trocknen oder einfach keinen Bock, Wäsche aufzuhängen. (Das ist das Einzige, was wirklich mehr Arbeit macht an Stoffwindeln). Ökologischer ist natürlich das Trocknen auf der Leine

Manche Kommunen zahlen einen Stoffwindelzuschuss 

Die Müllproblematik ist inzwischen auch in der Politik angekommen. So haben viele Kommunen und Städte inzwischen einen sogenannten Stoffwindelzuschuss eingeführt. Damit soll den Eltern eine Hilfe gegeben werden, sich Stoffwindeln finanziell leisten zu können. Zwar spart man mit ihnen im Vergleich zu Wegwerfwindeln sehr viel Geld (je nach System, Stromkosten, Waschverhalten und Vergleichsmarke um die 1.000 € schon beim ersten Kind), dafür kommt die Ausgabe jedoch geballt am Anfang, was für manche Familien schwierig ist. Oliver und Katharina Salmen von www.deine-stoffwindel.com setzen sich bundesweit dafür ein, dass immer mehr Kommunen aufgeklärt werden und somit fundiert diskutieren können, ob sie sich einen Zuschuss leisten wollen oder nicht, wofür und in welcher Höhe. Ob auch eure Stadt mitmacht, könnt ihr hier nachsehen.

Der Süden Deutschlands ist dabei deutlich weiter als der Norden. In Schleswig-Holstein geben nur Kiel und Rendsburg-Eckernförde einen Stoffwindelzuschuss. Während in Rendsburg-Eckernförde die Abfallwirtschaft 70 € für eine Beratung ausgibt, fördert die Stadt Kiel die Anschaffung von Stoffwindeln mit sage und schreibe 200 €. Die Politik hält sich zudem an das 2012 erlassene Kreislaufwirtschaftsgesetz, welches in § 6 beschreibt, dass als oberste Priorität Müll zu vermeiden ist. Danach folgen Vorbereitung zur Wiederverwendung, Recycling, Verwerten (z. B. Verbrennen der Windel) und ganz am Ende Beseitigung, wozu Atommüll sowie auch die Reste der verbrannten Einwegwindeln gehören. Ein Schlagwort ist hier die sogenannte Abfallpyramide, wenn ihr euch das noch mal genauer anschauen möchtet oder ihr schaut hier vorbei: www.deine-stoffwindel.com/windelmuell/. 

Windeltorte zur Geburt 

Inzwischen bin ich selbst Beraterin. Gemeinsam mit vielen engagierten Kolleginnen arbeite ich daran, Stoffwindeln wieder bekannter zu machen. Wir versprechen keine 12 Stunden Trockenheit, aber wir setzen uns ein für Aufklärung, bewussteres Wickeln, für mehr Akzeptanz ohne Vorurteile. Wir wollen #waschenstattwegwerfen. Eine gute Adresse ist hierfür auch der neu gegründete Stoffwindelverein. Ich bekomme viele Anfragen von werdenden Mamas, die sich unsicher sind, weil ihr Partner, die Schwiegermutter oder der Bekanntenkreis Vorbehalte haben. Das stimmt mich jedes Mal wieder etwas traurig, weil ich denke, dass wir doch als Gesellschaft schon viel weiter sein sollten!?

Denn viele kennen es sicherlich: ob Babyshower oder Geburt, es gibt viele Anlässe für Massen an Geschenken für den neuen Erdenbürger oder die neue Erdenbürgerin. Die 24. Rassel, die 7. Spieluhr und der 11. Drogerie-Gutschein. Auch Windeltorten sind sehr beliebt. Aber wie wäre eine Torte aus bunten Mulltüchern, garniert mit waschbaren Waschläppchen und als Unterlage eine hübsche waschbare Wickelunterlage? Gerade für unsere Kinder können wir schon vor ihrer Geburt darauf achten, dass wir mit den vorhandenen Ressourcen haushalten und ihnen eine Welt hinterlassen, auf der es sich zu leben lohnt. Warum kein Gutschein für einen Stoffwindelshop? Bei Drogeriegutscheinen sagte hier mein Mann direkt: „Oh, neues Shampoo für die Mama!“ Und ich lieb‘s.

Eine Beratung ist sinnvoll 

Hätte ich bei meinem Großen gewusst, dass es Beraterinnen gibt, hätte ich die Möglichkeit gern genutzt. Wir haben nämlich doch ein paar Dinge falsch gemacht, die sich leicht hätten vermeiden lassen. Zudem war es sehr anstrengend und langwierig, mir alles anzulesen und auch hätte ich gern mal eine Stoffwindel angefasst. Kaufen kann man Stoffwindeln nämlich leider fast ausschließlich online, da sich Ladengeschäfte einfach nicht lohnen.

Eine Beratung ist also sinnvoll, weil man direkt einen Überblick und gutes Grundlagenwissen zum Anlegen, Lagern und Waschen bekommt. Man kann sich verschiedene Modelle und Systeme in Ruhe anschauen und das Beste: Man kann Stoffwindeln auch einfach mal zum Testen mieten! Wenn es einen überzeugt, weiß man schon, was man benötigt, wenn nicht, gibt man einfach nur alles wieder zurück. Zudem wird man während der gesamten Mietdauer mit Tipps und Tricks versorgt, wenn man noch ein wenig Unterstützung benötigt.

Egal, ob ihr nur tagsüber mit Stoff wickelt oder nur zuhause oder auch nur eine einzige Windel am Tag aus Stoff ist: Stoffwickeln ist keine Religion. Traut euch! Ich finde: Jede Windel, die nicht im Müll landet, ist eine gute Windel!

Schild einer Stoffwindel-Beraterin

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