In ihrer neuen Kolumne erzählt Sarah Güttler vom dörflichen Austausch und versucht das “Warum?” zu ergründen. Denn was für sie seit Kindheitstagen zum Dorfalltag dazugehört, ist für ihren Mann Neuland und vielleicht eine aussterbende Gepflogenheit, die es zu erhalten gilt.

Text & Fotos: Sarah Güttler

Als wir noch in Potsdam lebten, war das mit den Besuchen immer ganz klar. Entweder kamen Familienmitglieder oder Freunde. Es wurde sich vorher per SMS oder Anruf angekündigt, man blieb mal länger, mal kürzer und ging irgendwann wieder. So weit, so gut. Fabi und ich haben darüber nie viel nachgedacht und auch dem Grund eines Besuchs nie viel Beachtung geschenkt, denn man wollte sich halt einfach sehen, was gibt es da schon groß zu bereden. 

Irgendwer war immer da 

Nun, da wir auf dem Dorf leben, gibt es aber eine neue Kategorie von Besucher:innen: Bekannte und Nachbar:innen. Mir, die ich hier groß geworden bin, waren sie immer lieb diese Besuche und ein bisschen habe ich sie auch vermisst, als ich in der Stadt lebte. Irgendwer war damals bei meinen Eltern immer da, kam spontan vorbei, setzte sich mit dazu, fragte, wie es geht, was es Neues gab, erzählte von der eigenen Familie, von Nachbarn und Neuigkeiten und ging nach kurzer Zeit wieder. Ich saß als Kind dabei, lauschte den Erzählungen und versuchte herauszufinden, über wen geredet wurde. 

Ein harmloser Dorfspaziergang

Vor ein paar Wochen ging Fabi mit den Kindern im Dorf spazieren, als er Tante Trude* traf. Sie ist keine wirkliche Tante von mir, eher eine Nenntante, die mit meinen Eltern befreundet ist, seitdem ich denken kann. 

Wenn man im Dorf unterwegs ist, trifft man sie fast immer, sie kennt jeden, jeder kennt sie, sie weiß über jeden und alles Bescheid. Ich finde es faszinierend, wie einfach und geradeheraus sie Fragen stellt und so alles in Erfahrung bringt, was es zu wissen gibt. Dabei kann man nicht sagen, dass sie neugierig wäre. Nein, es ist eher Interesse und ein Mittel zur Kommunikation und sozialen Verbindung.  

Besuch mit Ankündigung 

Als sie da nun so auf Fabi traf, kündigte sie ihren kommenden Besuch an: „Am nächsten Montag würde ich mal vorbeikommen, so 15 Uhr?“ Gesagt, getan. Am Montag saßen wir alle beisammen, tranken Kaffee, spielten mit den Kindern und erzählten vom Haus und seinen ehemaligen Besitzern. Ihr Bruder habe mit seiner Familie vor langer Zeit einmal im Haus gelebt, davor der Freund ihrer Schwester, die Tante unserer Nachbarn und, und, und. Es war für mich so spannend zu hören, welche Menschen unser Haus schon in ihrem Alltag und Älterwerden begleitet hat. Wir plauderten und plauderten und hatten einen wundervollen Nachmittag zusammen.  

Das “Warum?” 

Am Abend überraschte Fabi mich mit seiner Aussage: „Ich kann den Besuch von Tante Trude noch immer nicht einordnen. Zuerst dachte ich, dass sie gucken will, ob wir es hier ordentlich haben und wie wir leben, aber den Eindruck hatte ich am Ende doch nicht. Es war wirklich schön mit ihr, aber warum war sie eigentlich da?“ Ja, warum war sie eigentlich da? Natürlich muss es nicht immer ein „Warum“ geben, doch habe ich gemerkt, dass es diese Art von Besuch in unserem Freundes- und Bekanntenkreis, ja vielleicht sogar in unserer Generation einfach nicht mehr gibt.  

“Es braucht ein Dorf…“ 

Ist es nicht schade, dass man nicht einfach zu neuen Nachbarn geht, klingelt und fragt wie es geht? Man kennt sich kaum noch, obwohl man in so einem kleinen Dorf zusammenlebt. Ja sicher, dieses „warum“ schreckt mich auch davon ab, zu jemanden zu gehen. Die neuen Nachbarn, die am Ende der Straße das große Haus gekauft haben, sind in unserem Alter. Sie würden sicher nicht schlecht gucken, würde ich morgen bei ihnen klingeln, mich ungeladen in ihre Küche setzen und auf einen Plausch und einen Kaffee bleiben. Heute ist so etwas komisch, damals war es völlig normal, weil man sich gegenseitig zum Leben auf dem Dorf brauchte. Man brauchte den Austausch, die sozialen Kontakte, mal brauchte man auch Hilfe oder einfach nur mal ein Päckchen Mehl, weil der nächste Laden 20 Minuten Fahrzeit entfernt und nicht eben um die Ecke war.  

Vielleicht backe ich am Wochenende doch mal einen Kuchen und gehe zumindest Tante Trude besuchen. Und wer weiß, wenn ich dann ein bisschen mehr Übung in solchen Besuchen habe, vielleicht gehe ich dann auch einmal zu den neuen Nachbarn rüber. 

Hier gibt’s den Beitrag noch einmal für die Ohren:

Teile es mit deinen Freunden!

Wie kann ich Klönstedt unterstützen?

Das ist ganz einfach. Es sind die vielen kleinen Taten, die Klönstedt groß werden lassen. Melde dich zum Newsletter an, folge uns auf Instagram, lies unsere Artikel, schau unsere Videos, oder nimm an unseren Dorftreffen teil. Neben all der Liebe, die in diese Inhalte und Veranstaltungen fließt, kostet die Herstellung der Inhalte auch Geld. Damit Klönstedt auch weiterhin nur wenig Werbung zeigen muss, benötigen wir finanzielle Unterstützung von euch. Wir informieren euch bald über eine neue Möglichkeit, wie ihr Klönstedt auch finanziell unterstützen könnt.