Zwischen dem Disney Schloss und Bullerbü liegen einige Kilometer. Doch ist der Abstand zwischen Geschichtswelten genau so groß?

Weihnachten ist vorbei. Alle Filme sind geguckt. Das neue Jahr ist schon wieder einige Tage alt. Doch eine Diskussion hängt mir noch ein bisschen nach. Ein Thema, dass mich schon häufiger bewegt hat. Auf der Suche nach einem guten Weihnachtsfilm schlage ich häufiger auch Disney-Filme vor. „Die Schöne und das Biest“ oder „Der Glöckner von Notre-Dame“ treiben mir schon die Tränen in die Augen, wenn ich nur die Film-Titel schreibe und an die ganzen Kindheits-Erinnerungen denke, die ich mit diesen Filmen verbinde. Manchmal werde ich jedoch regelrecht aus meiner Kindheitserinnerung gerissen, wenn Freunde dann abschätzig darüber sprechen – à la „Disney? Also bei uns gab’s nur Astrid-Lindgren-Geschichten!“. Häufig bemerke ich in diesen Reaktionen ein kleines Gefälle – ein Blick auf mich herab. Die Geschichten von Astrid Lindgren seien doch viel wertvoller als dieser Trickfilm-Schund von Disney. Astrid-Lindgrens Geschichts-Welt sei der Goldstandard in der Kindererziehung.

Ein Graben zwischen zwei Welten

Glücklicherweise bin ich als bekennender Disney-Fan in meinem Freundeskreis nicht allein. Wie schön, dass es bei einigen Freunden immer noch Tonieboxen gibt, aus denen Mulan dröhnt und ich dann jedes Lied mitsingen kann. Mir wird jedoch eines bewusst: Es scheint so, als ob es zwei Lager gibt – Team Lindgren und Team Disney. Und auch wenn die Lager erstmal total gegensätzlich erscheinen, ist eines ganz klar: Astrid Lindgren und Disney sind zwei Giganten in der Welt der Kinderliteratur und -unterhaltung. Sie haben Generationen von Leser:innen und Zuschauer:innen begeistert. Während beide Welten Geschichten erzählen, die die Fantasie beflügeln, scheint es so, dass sich ihre Ansätze und Botschaften unterscheiden. Um ein bisschen Struktur in meine Emotionen zu bekommen, habe ich mir ein paar Werke angeschaut und mich gefragt: Sind die Unterschiede wirklich so groß?

Astrid-Lindgren-Geschichten: echt, stark und ein bisschen braun

Astrid Lindgrens Charaktere bewältigen reale Herausforderungen, die Kinder nachvollziehen können. In „Die Brüder Löwenherz“ behandelt sie Tod und Verlust auf einfühlsame Weise und gibt dennoch Hoffnung. Die Reise der Brüder ins „Nangijala“ symbolisiert Mut und Hoffnung. Aber ab welchem Alter eignet sich das Buch? Denn schon als Erwachsener kann ich diese Geschichte vor Schmerz kaum aushalten.

Astrid Lindgren hat die beeindruckende Fähigkeit, starke weibliche Charaktere zu kreieren. In „Pippi Langstrumpf“ erobert die Hauptfigur nicht nur Kinderherzen, sondern stellt auch Geschlechterrollen auf den Kopf. Kritisch sehe ich mögliche Stereotypisierungen in älteren Versionen mit Begriffen wie „N*könig“. Das ist für mich ein absolutes No-Go und ein „Das hat man früher halt so gesagt“ zählt für mich nicht. In „Ronja Räubertochter“ überwindet die Hauptfigur traditionelle Erwartungen und betont Freundschaft.

Ich glaube, dass die Charaktere von Astrid Lindgren so vielfältig wie das Leben sind und sich jede:r in einer dieser Figuren wiederfinden oder sogar ein Vorbild finden kann. Apropos Vorbild: Bringen Pippi und Ronja Kinder nicht manchmal auch auf dumme Gedanken? Auf Dächer klettern und herumlaufen oder wilde Mutproben. Wieder frage ich mich: Ab welchem Alter eignen sich diese Geschichten?

Walt Disney: Moral, Musik und ein bisschen zu viel Idealisierung

Disney entführt in märchenhafte Welten wie in „Aladdin“, das mit Animation, Musik und einer farbenfrohen Welt begeistert. Allerdings sehe ich die kulturellen Stereotypen in Agrabah etwas kritisch. Nichtsdestotrotz sind die Geschichten von Disney bekannt für ihre herausragende Animation und eingängige Musik. Dies vor allem im Klassiker „Der König der Löwen“. Die Geschichte vermittelt wichtige moralische Lektionen auf der einen Seite, doch auch ganz schön idealisierte Beziehungen auf der anderen Seite. Der Vorwurf: So lustig wie Dschinni, Timon und Pumba sind, so unemanzipiert sind Jasmin und Nala.

Wirklich? Ja, viele Disney-Prinzessinnen warten auf ihren Prinzen. Und ja, die Kleider vieler Prinzessinnen vermitteln ganz schön viele Klischees und tradieren Rollenbilder. Aber ist Jasmin nicht ganz schön aufmüpfig und stellt sich gegen die ihren Vater, der sie verheiraten möchte. Uns ist Nala nicht total mutig? Und was ist eigentlich mit Pocahontas und Mulan? Für mich gehören die beiden zu einer starken Frauen-Riege in der Disney-Welt.

Am meisten berühren mich aber meine beiden Lieblingsmärchen: „Der Glöckner von Notre Dame“ und „Die Schöne und das Biest“. Ich habe mich gefragt warum. Beide spielen in Frankreich und in beiden Geschichten kommt es am Ende auf die inneren Werte an – egal, ob du ein hässlicher Glöckner bist oder ein schreckliches Biest. Das bewegt mich bis heute und die beiden Filme triggern mein moralisches Zentrum im Gehirn dermaßen, dass ich bei den Filmen eigentlich jedes Mal heule. Wie ungerecht ich das Handeln gegen Quasimodo, wegen seines Aussehens finde und wie sehr mich das Handeln gegen Esmeralda, wegen ihrer Herkunft aufregt. Wie berührend ich es finde, wenn das Biest durch die Liebe von Belle endlich erweicht und seine Gefühle zeigt. Meine Güte! Da steckt ganz schön viel Inhalt drin in so einem Disney-Film! Zu viel? Und vielleicht sogar an der einen oder anderen Stelle zu schrecklich? Auch hier frage ich mich: Ab welchem Alter können Kinder diese Filme eigentlich schauen ohne Albträume zu bekommen?

Fazit: Geschichten für das Leben

Auch wenn Weihnachten vorbei ist, bin ich versöhnlich. So groß scheinen die Unterschiede zwischen den beiden Welten nun doch gar nicht zu sein. Ich glaube das die Geschichten von Astrid Lindgren und die Märchen von Disney viel Gutes für uns bereithalten. Bei vielen sind es nämlich nicht die Geschichten, die Vorurteile mit sich bringen, sondern die Menschen – vor allem Eltern – die sie ihren Kindern vorlesen oder zeigen. Und eine Frage muss ich mir bei allen Geschichten und Filmen stellen, bevor ich sie Kindern zeige: Passt das inhaltlich sowie alterstechnisch gerade zu meinem Kind? Ich glaube nämlich, dass so mancher Disney-Film trotz Altersempfehlung zu früh geschaut wird und manche Lindgren-Geschichte schon Albträume hervorgebracht hat.

Vorschlag ans Team Lindgren

Und weil es am Ende ja eigentlich nur um schöne Geschichten geht, hier mein Vorschlag: Hey Team Lindgren, wollen wir nicht einfach Frieden schließen und uns darauf einigen, dass die Geschichten schon alle einen guten Inhalt haben und das für alle Bedürfnisse, die Kinder so im Laufe ihres Lebens mit sich bringen, etwas dabei ist? Könnt ihr nicht einfach anerkennen, dass Disney voll gute Filme für Kinder macht und es kein intellektuelles Gefälle zwischen Lindgren und Disney gibt? Ich aus dem Team Disney finde die Geschichten von der Astrid auch echt gut und verspreche, dass ich kein Arbeiterkind-Komplex bekomme, wenn ihr mir das nächste Mal sagt, dass deine Liebling-Geschichte von Lindgren geschrieben und nicht von Disney ist. Ich wäre auf jeden Fall bei dem Deal dabei!

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