Kategorien: Politik & Gesellschaft

Das Nähcafé ist Treffpunkt von geflüchteten Menschen und Bewohnern aus der Gemeinde Haren in Niedersachsen. Hier geht es um mehr als nähen oder stricken. Geflüchtete erfahren Zuwendung und das Gefühl, dass das Leben ohne sie nur halb so bunt wäre.
Omar streckt seine Hand aus und sagt: „Hallo, ich blute.“ Von der Schule aus ist er direkt zum Bischof-Demann-Haus geradelt, in dem die ehrenamtlichen Helferinnen bereits alles vorbereiten: Wollknäuel sortieren, Nähmaschinen aufstellen, Kaffee kochen. Eine dieser Helferinnen schaut sich Omars Hand an und beschließt nach sorgfältiger Prüfung, dass die kleine Schramme nicht aufwendig mit vier Stichen genäht werden muss. „Wir machen das schnell sauber, Omar. Und dann kommt ein Pflaster drauf.“
Kurze Zeit später sitzt Omar am Tisch des Gemeindehauses und spielt „Mensch ärgere dich nicht“ mit seinem Kumpel. Zwischendurch beißen die beiden in ein Stück des frisch gebackenen Mamorkuchens, der vor ihnen auf dem Teller liegt.
Wohlfühlort für Geflüchtete
Neben Omar und seinem Freund finden sich nach und nach immer mehr Menschen aller Altersgruppen im Gemeindehaus ein, das direkt gegenüber der Kirche ist. Sie stammen aus Afghanistan, Syrien, aus dem Irak und Iran sowie aus Polen. Wie die 16-jährige Bianca, die gerade zur Tür hereinkommt. Sie hat einen grauen Pulli für ihren Hund im Nähcafé gehäkelt. Stolz zeigt sie auf ihrem Handy die Bilder des Kleidungsstücks. So wie Bianca sind Menschen mit und ohne Migrationshintergrund jeden ersten Mittwoch im Monat ins Bischof-Demann-Haus der St. Martinus Gemeinde Haren (Landkreis Emsland) eingeladen, die gerne stricken, nähen, basteln und dabei ins Gespräch kommen wollen.

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Mechthild Fabian (links) rief das Projekt „Nähcafé“ mit ihrer Freundin ins Leben. Fotos: Adele Stevens (6)
„Auf das Nähen sind wir gekommen, da vor allem die Männer oft Schneider von Beruf waren. So können die Menschen hier etwas machen, worin sie talentiert sind und was ihnen aus ihrer Heimat vertraut ist“, erklärt Mechthild Fabian (56). Mit ihrer Freundin Marilies Menke (63) ist sie seit Beginn dabei. Gemeinsam riefen sie 2016 das gemeinnützige Projekt mit Unterstützung der Stadt Haren ins Leben. „Marilies und ich können aber gar nicht nähen“, sagt Mechthild lachend. „Deshalb sind wir froh, Hobbyschneiderinnen aus der Gemeinde hier zu haben.“ Neben den knapp zehn ehrenamtlichen Helferinnen wird das Nähcafé außerdem von den Mitgliedern des Pfarrgemeinderats, der Stadt und der Katholischen Erwachsenenbildung Emsland Mitte begleitet und unterstützt.
Jeder ist von Herzen willkommen
Die Frauen und Männer freuen sich im Nähcafé über Beschäftigung, da die wenigsten von ihnen in Haren einem Beruf nachgehen können und somit bei ihnen oft Langeweile einkehrt. Ihre Kinder sind in einer der vielen Spielecken beschäftigt. Auch Seniorinnen und Senioren, die in den Wohnungen in der ersten und zweiten Etage im Bischof-Demann-Haus wohnen, kommen mittlerweile ins Nähcafé. Sie vertreiben sich hier ihre Zeit mit Kaffeetrinken, spielen oder stricken und nehmen auch von sich aus Kontakt zu den Zugereisten auf. „Jeder ist hier willkommen“, sagt Mechthild Fabian. „Doch leider konnten die Treffen in den letzten zwei Jahren wegen Corona nicht regelmäßig stattfinden“, bedauert sie. Umso mehr freut sich das Team darauf, nach den Osterferien wieder mit neuer Kraft und Freude starten und einladen zu können. Vielleicht werden in Zukunft auch Personen aus der Ukraine dazukommen, die von Herzen willkommen sind.
Deutsch sprechen verbindet
Mechthild Fabian holt ein rotes Buch hervor. Auf dem Cover steht die Zeile „Ohne dich wäre das Leben nur halb so bunt“. Darüber ist ein Bild mit vielen bunten Knöpfe abgebildet. „Das ist unser Gästebuch. Sahar hat es gestaltet.“ Sie blättert weiter und schlägt die ersten Seiten auf. „Herzlich willkommen“ steht auch hier mittig. Drumherum sind diese Wörter in kurdisch, farsi, polnisch und arabisch übersetzt – dazu kleine Zeichnungen. „Hier geht es tatsächlich bunt zu, da alle unterschiedliche Herkunftsländer haben und verschiedene Sprachen sprechen“, sagt Mechthild Fabian. „Deutsch ist das einzige Mittel, mit dem die Geflüchteten sich überhaupt untereinander austauschen können. Es gibt ja keine Flüchtlingssprache.“ Wenn ein Afghane neben einem Syrer am Tisch sitzt, verstehen beide ihre jeweiligen Muttersprachen nicht. Sie müssen deutsch sprechen.
„Wenn das Verhältnis inniger ist, erzählen einige Geflüchtete auch von sich. Wir erfahren viel über ihr Leben und ihre schweren Schicksale. Manche von ihnen sind außerdem noch von der Abschiebung bedroht. Das ist keine leichte Situation“, sagt Mechthild Fabian, die gelegentlich mit der Frage konfrontiert wird: „Warum machst du das alles überhaupt?“ Dann antwortet sie: „Aus meinem christlichen Glauben heraus. Aus Überzeugung.“
Text: Adele Stevens
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