Mehr als 2 Millionen Frauen in Deutschland sind an Endometriose erkrankt. Ihr Alltag ist zum Teil durch die chronifizierten Schmerzen stark eingeschränkt. Trotzdem wird die Krankheit selbst von Mediziner:innen nach wie vor oftmals nicht ernst genommen. Wir haben mit Prof. Dr. Sylvia Mechsner, der Leiterin des Endometriosezentrums der Charité, über die Krankheit, ihre historisch geprägte Fehleinschätzung und darüber, was sich in Zukunft dringend ändern muss, gesprochen.

Frau Prof. Mechsner, was genau versteht man unter Endometriose und wie entsteht sie bzw. was passiert durch sie im Körper?

Da möchten alle eine kurze Antwort, aber so einfach lässt sich das nicht erklären. Lange Zeit hat man gesagt, Endometriose sei gebärmutterschleimhautähnliches Gewebe außerhalb der Gebärmutterhöhle. Das stimmt nur bedingt. Wenn man sich das unterm Mikroskop anschaut, dann sieht man kleine Drüsen – Epithel- und Stromazellen – und daraus besteht auch die Gebärmutterschleimhaut. Aber wenn man genauer hinguckt, dann gehören erstens auch noch Immunzellen dazu und zweitens glatte Muskelzellen, die auch in der Gebärmutter vorkommen. Also eigentlich ist es nicht nur Gebärmutterschleimhaut, sondern es sind quasi Miniatur-Uteri, die sich woanders ansiedeln. Deshalb gehen wir mittlerweile davon aus, dass es sich um Stammzellen handelt, die zwar in der Gebärmutter angesiedelt sind, aber an andere Körperstellen wandern.

Wir wissen, dass die Gebärmutter als Muskel sehr starke Bewegungen macht und im Zuge der starken Regelschmerzen, die die Frauen haben, krampft. Dabei entstehen Mikrotraumen, die Wundheilungsprozesse in Gang setzen und dadurch werden Stammzellen aktiviert. Diese wandern in die Gebärmutterwand ab und bilden dort neue Schleimhautinselchen mit Muskulatur drumherum. Das nennen wir Adenomyose. Wenn sie durch den Eileiter in den Bauchraum gelangen, ist das Endometriose.

Häufiger liest man auch von Wucherungen. Das stimmt aber nicht: Es handelt sich um gut differenziertes Gewebe, das nicht wuchert. Endometriose ist eine Fehlansiedlung von uterinem Gewebe, das gut differenziert ist und auch nicht schnell wächst. Die Erkrankung ist langsam und progressiv.

Das Gewebe wächst aber nur im Bauchraum oder auch an anderen Stellen im Körper?

Theoretisch siedelt es sich vor allem in den Abflussbereichen der Eileiter an. Wenn Frauen menstruieren, kann es sein, dass durch die Eileiter etwas rückwärts in den Bauch zurückfließt – da ist die häufigste Ansiedlung dieser Zellen. Die meisten haben Endometriose im kleinen Becken und in der Gebärmutter selbst. Was auch noch vorkommen kann, ist, dass sich Herde am rechten Zwerchfell ansiedeln. Das passiert, wenn die Flüssigkeit, die im Bauchraum ist, sich durch die Atembewegungen quasi im Uhrzeigersinn bewegt und die Zellen dann mit nach „oben“ transportieren/verschleppen.

Außerdem gibt es unterschiedliche Wachstumsformen: Die meisten sind oberflächlich und betreffen nur das Bauchfell. Aber die Endometriose kann auch zwischen Gebärmutter und Darm wachsen. Das sind sogenannte tief infiltrierende Herde im Septum rectovaginale und das kann auch zwischen Blase und Gebärmutter passieren. Alles Gewebe, beispielsweise vom Darm, das potenziell Kontakt zur Gebärmutter haben kann – etwa der Sigma- oder auch Blinddarmbereich – kann Endometrioseherde abbekommen. Das liegt vermutlich daran, dass diese zeitweise die Gebärmutter berühren und so die Zellen rüber wandern können.

Ganz selten kann Endometriose auch im Bauchnabel vorkommen, in der Leiste oder am sogenannten Leistenband, das kommt ebenfalls von der Gebärmutter und zieht durch den Leistenkanal in die Schamlippe. Das sehen wir immer mal wieder.

Oder Endometriose nach Kaiserschnitten: Während eines Kaiserschnitts ist die Gebärmutter geöffnet und es kann zu Verschleppungen von Zellen der Schleimhaut in die Bauchdecke kommen. So können Herde in der Bauchwand entstehen. Ganz, ganz selten entwickelt sich Endometriose in der Lunge – ich kenne vielleicht drei Frauen – oder, und das ist noch seltener, im Gehirn. Manche Frauen berichten von zyklischen Ohrenschmerzen oder Nasenbluten, aber auch das sind Raritäten.

Unter welchen Symptomen leiden betroffene Frauen?

Endometriose ist eine zyklische, hormonabhängige Erkrankung. Wenn die Eizellen heranreifen, wird im Eierstock Östrogen gebildet, damit sich die Gebärmutterschleimhaut in der Gebärmutter aufbaut und sich das befruchtete Ei einnisten kann. Passiert das nicht, kommt es zur Blutung. Die Endometrioseherde bauen sich genauso im Zyklus auf und wenn es zur Blutung kommt, werden auch dort durch den Hormonabfall die Mechanismen zur Abblutung in Gang gesetzt. Allerdings haben die Endometrioseherde keine Verbindung zur Außenwelt und können nicht nach außen abfließen. Außerdem werden im Zuge dessen Schmerzbotenstoffe freigesetzt und starke Entzündungen entstehen.

Deswegen sind die allermeisten Beschwerden erstmal zyklisch, schwerste Regelschmerzen. Und zwar Regelschmerzen, die auf der visuellen Analogskala mit 6 oder mehr angegeben werden. Diese sind schmerzmittelpflichtig und es ist nicht ausreichend, mal eine Ibuprofen zu nehmen, sondern diese Schmerzen sind auch mit Schmerzmitteln nicht gut behandel- und beherrschbar. Viele Frauen leiden zusätzlich unter Übelkeit, Erbrechen oder Durchfall im Zusammenhang mit der Regelblutung.

Bei vielen Endometriosepatientinnen ist auch die Abbruchblutung bei Einnahme der Pille schmerzhaft. Und die Betroffenen, die nicht die Pille nehmen, haben oft schon Unterbauchschmerzen bevor überhaupt die Periode kommt, und zwar mehrere Tage bis Wochen. Manche haben bereits während des Eisprungs zyklisch Unterbauchschmerzen.

So geht es bei den allermeisten los, aber wenn die Schmerzen nicht adäquat behandelt werden – was leider ein ganz häufiges Problem ist, da sie nicht ernst genommen werden – entsteht über die Zeit eine Sensitivierung des Schmerzgedächtnisses. Vielen ist nicht bewusst, was solche starken wiederkehrenden Schmerzen im Laufe der Jahre ausmachen. Nämlich eine Veränderung der Schmerzwahrnehmung. Denn der Körper erkennt leider nicht, dass es regelmäßige Regelschmerzen sind, die eigentlich harmlos sind, die er runterregulieren oder ignorieren könnte. Schmerzen haben ja eine Warnfunktion und so wird der Körper jedes Mal in Alarmbereitschaft gesetzt. Er reagiert auf die starken Schmerzen mit Muskelverkrampfungen und der Beckenboden verhärtet sich. So kommen vermehrt Probleme beim Wasserlassen und Stuhlgang im Zusammenhang mit der Blutung dazu. Oder auch im Verlauf Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, weil der Beckenboden verspannt ist, sich nicht mehr richtig dehnen lässt und unter mechanischer Beanspruchung weh tut.

Die Verschlimmerung der Symptome im Verlauf ist typisch. Was nicht unbedingt bedeutet, dass die Endometriose zwangsläufig schlimmer wird, sondern wie beschrieben die Schmerzwahrnehmung. Äußerst problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass Endometriose immer noch weder von Schmerztherapeuten noch von Gynäkologen, Allgemeinmedizinern oder Kinderärzten ernst genommen wird.

Wie kommt das? Wieso wird Endometriose selbst unter Mediziner:innen noch unterschätzt?

Ich glaube, dass dies ein Stück weit historisch verankert ist. Ich war vor kurzem in den Bundestag eingeladen und habe mir in der Vorbereitung darauf diese zentrale Frage gestellt. Warum wird Endometriose so unterschätzt? Schon Ende des 18. Jahrhundert hat es durchaus Anlass gegeben, die Erkrankung zu erkennen. Damals durften ja nur Männer Ärzte werden und diese haben festgestellt, dass es eine Art „Frauenleiden“ gibt. Sie konnten aber keine organische Ursache finden. Ihrer Meinung nach handelte es sich um Anfälle, für die das Wort Hysterie geprägt wurde. In der damals veröffentlichten Literatur hat gestanden, es gebe für diese Frauenleiden keine organische Ursache. Ich arbeite gerade an den Leitlinien zu chronischen Unterbauchschmerzen der Frau mit und war wirklich schockiert, als ich auf diese alte Definition gestoßen bin, die in unserer aktuellen Leitlinie noch enthalten ist.

Schließlich war die Medizin damals auf einem völlig anderen Stand. Aber Endometriose ist eben immer noch nicht zu sehen. Viele Mediziner berufen sich weiterhin darauf, man könne sie nur durch eine Bauchspiegelung entdecken, was überholt ist. Aber selbst die deutschen Leitlinien zur Diagnostik der Endometriose sagen, Laparoskopie sei der Goldstandard und darauf ruht man sich nach wie vor aus.

Ein anderes Problem ist, dass niedergelassene Frauenärzte bislang nicht den Auftrag haben, sich mit der Erkrankung zu beschäftigen. Das spiegelt sich in ihrer Abrechnung wider. Frauenärzte verdienen über die Masse an Frauen – unser Frauenarztsystem mit der Vorsorge ist nicht schlecht – aber sie erhalten eben nur Geld für diese Vorsorge. Man bekommt für jede Patientin zunächst ein Pauschale von 16 €. Und für eine alleinige Untersuchung und Befundbesprechung kann der Frauenarzt nur 5 € abrechnen. Wenn dann das Wort Regelschmerz fällt, denken vermutlich schon viele an Endometriose. Aber dann wird die Pille verschrieben und damit 12 € für die Kontrazeptionsberatung abgerechnet.

Ein Ultraschall zum Beispiel ist nicht bei der Routineuntersuchung vorgesehen. Es gibt ein gewisses Ultraschall-Budget im Quartal und wenn dieses überschritten wird, wird dies nicht bezahlt. Das heißt, man muss sich überlegen: Bei wem mache ich einen Ultraschall und bei wem nicht? Deswegen wird der Ultraschall nicht routinemäßig durchgeführt und dadurch fehlt es niedergelassenen Frauenärzte an Erfahrung mit Endometriose. Es wird im Ultraschall nach der Gebärmutter und vielleicht noch nach der Schleimhaut und den Eierstöcken geschaut, nicht aber nach der Blase, dem Darm und den Nieren.

Man kann Endometriose sehr gut im Ultraschall erkennen, aber es ist aktuell nicht gefordert. Selbst, wenn jemand einen ausführlichen Ultraschall durchführt, können nur 47 € insgesamt abgerechnet werden, mehr geht nicht bei Endometriose. Das ist ein Problem! Denn ich benötige, obwohl ich routiniert bin, fast eine Stunde für jede einzelne Patientin. Diese Zeit ist in unserem Gesundheitssystem nicht adäquat abgebildet und deshalb mangelt es vielen Ärzten an Erfahrung.

Ist das auch der Grund, weshalb es häufig so lange bis zur Diagnose dauert und bei vielen Betroffenen die Krankheit gar nicht diagnostiziert wird?

Ja! Das ist ein Grund. Zusätzlich bräuchte es ein Screening, ein gut definiertes Programm. Außerdem Anleitungen der multimodalen Therapie, denn natürlich sollte man nicht als erstes eine Bauchspiegelung durchführen. Aber man muss die jungen Frauen trotzdem vernünftig anleiten. Es ist wichtig zu wissen, was im Zyklus passiert. Oder was man an Entspannungstechniken, Tees oder Schmerzmitteln testen kann – all das wird nirgendwo besprochen. Wir haben jetzt erfreulicherweise einen Innovationsfond bekommen, um eine App für junge Mädchen zu entwickeln. In diese können sie ihre Regelschmerzen eintragen. Zusätzlich bekommen die Mädchen eine Anleitung zur multimodalen Therapie. Und die, die dann weiterhin auffällig sind, werden in ein Früherkennungsprogramm eingeladen. Damit beginnen wir im Dezember. Die in unserem System aktuell bestehende Versorgungslücke zu schließen, ist ein ganz wichtiger Punkt.

Es ist ja schon problematisch, dass der Zyklus im Aufklärungsunterricht in der Schule gar keine Rolle spielt.

Ja, das ist sehr problematisch. Selbst meine Medizinstudenten können Fragen zum Zyklus nicht korrekt beantworten. An dieser Stelle muss dringend mehr Aufklärungsarbeit geleistet werden.

Man müsste also schon in der Schule mit einem anderen Aufklärungsunterricht beginnen?

Genau! Es gibt eine aktuelle Umfrage von Plan International zur Menstruation und allein 50 Prozent der Mädchen, die Regelschmerzen hatten, haben durch ihr Umfeld zu hören bekommen, dieser sei normal und da müssten sie durch. Nur die Hälfte hat überhaupt einen Arzt aufgesucht und von denen wurden auch wieder mehr als die Hälfte abgeschmettert. Das heißt, 75 Prozent haben gar keine Begleitung. Außerdem gibt es eine australische Umfrage aus dem vergangenen Jahr, bei der mehr als 4.000 jungen Menschen befragt worden sind und von diesen haben 90 Prozent Regelschmerzen angegeben. Viele davon einen mittleren Schmerzwert von 6.
An dieser Stelle wird klar: Das Problem ist deutlich größer als wir angenommen haben. Außerdem wird es immer präsenter, weil die Menschen heutzutage mehr bluten. Noch in den 70er Jahren haben die Frauen um das 20. Lebensjahr Kinder bekommen und heute ist es um das 30. Lebensjahr. Aus physiologischer Sicht ergibt es keinen Sinn, erst mit 30 mit der Familienplanung zu beginnen. Aber auch diese Information, dass es mit zunehmendem Alter schwieriger werden könnte, schwanger zu werden, fehlt ja vielen Menschen.
Ich schreibe gerade ein zweites Buch mit dem Titel „99 Fragen zu Endometriose“ und habe diese Problematik darin hervorgehoben. Dabei geht es mir um Aufklärung: Man sollte deutlich machen, dass Ende 30 nicht das Alter ist, in dem man noch selbstverständlich schwanger wird. Insgesamt können Endometriose-Patientinnen genauso gut schwanger werden, wie andere – zumindest über die Zeit gesehen – aber nicht, wenn das Alter und die Endometriose schon so fortgeschritten sind.

Liegt es daran, dass die Erkrankung immer weiter fortschreitet, je häufiger man seine Regel hat?

Es gibt ja die verschiedenen Arten von Endometriose. Inwieweit entzündliche Komponenten dazu kommen, die dazu führen, dass Verklebungen und Zysten entstehen, kann man beispielsweise bei einer 20-jährigen Patientin nicht vorhersagen. Ungefähr 10 Prozent der Betroffenen haben eine aggressive Form der Endometriose, welche stark mit Unfruchtbarkeit assoziiert ist.

Ein ganz anderes Thema: ich habe gelesen, dass es seit kurzem einen Speicheltest zur Diagnose von Endometriose gibt. Wie genau funktioniert dieser und glauben Sie, dass durch ihn vielen Frauen schneller geholfen werden kann?

Der Test basiert auf dem Nachweis von microRNA. Es ist schon lange Gegenstand der Forschung, dass diese bei Frauen mit Endometriose verändert sind. MicroRNAs sind für bestimmte Genabschnitte codiert. Sie docken dort an und dadurch wird dann die Translation, also das Umsetzen der Information in die Bildung von Proteinen, verändert – sie wird letztlich an- und abgeschaltet. Man weiß, dass es bei Endometriose durchaus verschiedene Veränderungen gibt. Bei der Entwicklung des Speicheltests haben die Forscher 109 microRNAs, ein sogenanntes Panel, definiert, das bei Endometriose verändert sein soll. Im Moment können sie noch nicht zwischen Adenomyose und Endometriose unterscheiden, sondern es geht nur um das Vorkommen ektoper Herde im Bauchraum. Der Test basiert auf nur 200 Patientinnen, die alle symptomatisch waren. Das ist eine sehr selektiv ausgesuchte Gruppe, die wegen einer Symptomatik die Bauchspiegelung bekommen hat.

Meiner Meinung nach kann man mit genügend Erfahrung allein mit der reinen klinischen Anamnese-Untersuchung und dem Ultraschall die Diagnose stellen. Da das aber viele Niedergelassene nicht können, ist es nicht schlecht, den Test zu haben. Allerdings behebt er nicht das vorhandene Versorgungsproblem. Außerdem kostet er 800 € und wird von den Krankenkassen nicht bezahlt. Bevor man einen solch teuren Test einführt, sollte man die Strukturen verändern. Denn es nützt ja nichts, wenn eine Frau nach einem positiven Test nicht weiter versorgt werden kann.

Außerdem stellt sich die Frage, was mit einer Patientin passiert, die Beschwerden hat, obwohl der Test negativ ist? In diesem Fall werden die Schmerzen vermutlich als psychosomatisch eingestuft. Wir wissen aber, dass die Frauen, bei denen später Endometriose diagnostiziert wird, von Anfang an Schmerzen haben. Deshalb müssen wir bereits unsere Jugendlichen adäquat behandeln. Denn wir wissen nicht, welche von ihnen später Endometriose entwickeln.

Auf der Entwicklung eines derartig teuren Tests liegt aber natürlich der Fokus der Pharmaindustrie, da damit Geld verdient wird. Das ist die Motivation und nicht, den Frauen zu helfen.

Laut Politik soll die finanzielle Förderung der Forschung stetig steigen. Bemerken Sie bei Ihrer Arbeit im Endometriosezentrum der Charité bereits positive Auswirkungen dieser Entwicklung?

Ich habe mich dafür sehr eingesetzt. Wir waren in einem Koalitionsfachgespräch und ich war wie gesagt im Bundestag und im Anschluss daran kam die Ankündigung, was großartig ist und sehr wichtig! Denn mir sind zum Beispiel im vergangenen Jahr drei große DFG-Anträge abgelehnt worden, die auf Grundlagenforschung fokussiert waren, und zwar mit für uns schwer nachvollziehbaren Argumenten. Wir fokussieren uns auf Forschung am Menschen, weil es kein vernünftiges Tiermodell gibt, das sich auf die menschliche Situation übertragen lässt. Damit wurden bereits die vergangenen 20 Jahre verschwendet. Es ist kein einziges neues Medikament dabei herumgekommen, das einsetzbar war, weshalb ich mich schon lange auf die Situation im Menschen fokussiere. Wir nehmen Proben und untersuchen diese. Die Gutachter der Anträge kritisieren, dass dies nur beschreibend sei und ihnen die Experimente fehlten. Es ist ein großes Problem, dass die Forschungsanträge von Gutachtern bewertet werden, die die Problematik in der Endometrioseforschung nicht kennen.

Das heißt, Sie müssen um jegliche Forschungsgelder kämpfen?

Wir haben ein Grundlagenforschungslabor für Endometriose, in dem ich selbst seit 20 Jahren arbeite und das ich seit 2005 leite. Das konnten wir immer finanzieren, durch Industriekooperationen beispielsweise, aber die hat sich aus der Endometrioseforschung zurückgezogen. Nun stand unser Labor kurz vor der Schließung. Dank einer GoFundMe-Aktion, bei der 40.000 Euro zusammengekommen sind, sowie privat organisierten Spenden von Patientinnen kann ich mein Labor für ein halbes Jahr weiter finanzieren. Ich hoffe, dass in der Zwischenzeit die angekündigten endometriosespezifischen Ausschreibungen starten, die mehr Einblick in die Problematik haben.

Wieso haben Sie sich auf die Erforschung und Behandlung von Endometriose spezialisiert?

Das war eher Zufall. Ich habe in der Biochemie promoviert und bin immer schon sehr an Grundlagenforschung interessiert gewesen. Als ich in der Klinik angefangen habe, hat mich der bekannte Endometriose-Experte, Prof. Ebert, ins Labor geholt. Ich muss zugeben, dass ich anfangs nicht viel mit dem Thema anfangen konnte. Damals gab es im Fachbuch eine Seite zur Endometriose. Beim Aufbau des Labors und der Beschäftigung mit der Erkrankung habe ich festgestellt, dass über die damit zusammenhängenden Schmerzen überhaupt nichts bekannt ist. Und mich gefragt, wie es sein kann, dass eine gutartige Erkrankung so starke Entzündungen verursacht.

Und heute sind sie eine der führenden Expertinnen auf dem Gebiet …

Ja, und durch die vermehrte Beschäftigung der Medien mit Endometriose und meinem Bekanntheitsgrad haben wir aktuell ungefähr 200 Anfragen in der Woche. Leider können wir nicht alle bearbeiten. Ich erhalte viele Emails von Frauen, die mir persönlich wegen eines Termins schreiben. Eigentlich müssten wir jemanden haben, der eine Hotline allein für Endometriose bedient. Aber auch im Krankenhaus wird das schlecht bezahlt, sodass es sich nicht lohnt. Ich arbeite an der Charité, die eine sehr große onkologische Einrichtung ist – wir können für die Endometriose-Sprechstunde gar nicht so viel Personal bereitstellen, wie es bräuchte. Außerdem ist die Charité als Hochschulambulanz nicht für die Grundversorgung zuständig.

Es ist bestimmt frustrierend, wenn man sich seit Jahrzehnten so einsetzt wie Sie und es nicht richtig vorwärts geht?

Es ist unglaublich mühsam! Wir haben gerade einen zweijährigen Prozess hinter uns, in dem wir ein eigenständiges Ausbildungsprogramm erarbeitet haben für Bachelor- oder Masterabsolvent:innen im Pflegebereich. Denn es muss nicht immer ein/e Ärzt:in sein, die über Ernährung, Yoga, Schmerzmittel usw. aufklärt. Es gibt viele Dinge, die Betroffene wissen sollten. Dafür muss es bessere Programme geben. Wie beim Diabetes, bei dem es Schulungen zur Ernährung gibt. So eine Begleitung bräuchten wir für Endometriose-Betroffene auch.

Welche Therapiemöglichkeiten gibt es denn und können erkrankte Frauen durch bestimmte Verhaltensweisen selbst einen positiven Einfluss auf den Krankheitsverlauf nehmen?

Eine Therapieform ist es, den Zyklus zu unterdrücken. Das geht im Moment nur mit Hormonen. Dabei nehmen die Frauen eine Gestagen-Monotherapie so ein, dass sie keine Blutung haben. Viele möchten das aber nicht und müssen stattdessen adäquate Schmerzmittel nehmen. An dieser Stelle kommt es zu einem Problem: Oft wird der Umgang mit Schmerzmitteln nicht angeleitet. Viele wissen aber, dass Schmerzmittel nicht zu häufig eingenommen werden sollten und vermeiden die Einnahme. Das ist allerdings völlig falsch, denn dann aktiviert man weiter das Schmerzgedächtnis und füttert es sozusagen. Wenn man sich also gegen eine Hormontherapie entscheidet, führt kein Weg an einer adäquaten Schmerzmitteleinnahme vorbei.

Zusätzlich ist ganz wichtig, dass man Yin Yoga, Beckenbodenentspannungsübungen und ähnliches macht, weil die Muskelverspannung einen großen Anteil an den chronifizierten Schmerzen einnimmt. Außerdem ist die Ernährung interessant: Denn sehr viele Frauen leiden auch unter einem sogenannten Endobelly. Sie haben Entzündungen im Bauch und Darm, diese blähen sich zyklisch mit auf, die Bewegung der Darmmuskulatur ist durch die Hormone verändert oder dysreguliert. Wir wissen, dass das Weglassen von proentzündlichen Nahrungsmitteln, vor allem von tierischen Substanzen, hilft. Das Weglassen von Gluten und Zucker spielt auch eine Rolle, genauso wie Histamin. Grundsätzlich kann man viel über die Ernährung verbessern, manche reagieren da sehr gut drauf und können dann tatsächlich auf Hormone verzichten. Diese Dinge können Patientinnen immer erstmal probieren. Wenn dann eine Besserung der Beschwerden eintritt, kann die Hormontherapie ausbleiben. Aber wenn man trotz allem stark ausgeprägte Schmerzen hat, muss man irgendwann so vernünftig sein und Hormone nehmen. Ein Diabetiker kann auch irgendwann nicht mehr auf Insulin verzichten. Das ist dann eine medizinische Indikation und die Vermeidung der chronifizierten Schmerzsituation steht im Vordergrund.

Wenn das alles nicht hilft, gibt es immer noch die Möglichkeit der Operationen. Allerdings sollte man diese nicht allein zu Diagnosezwecken durchführen. Es muss immer ein Plan dahinterstecken und vor der OP eine ausführliche Aufklärung erfolgen. Das ist leider nicht überall gegeben, denn wir haben sehr viele ambulante OP-Zentren, die kurze, schnelle OPs durchführen.

Bei uns führen wir Endometriose-OPs gar nicht ambulant durch. Allerdings entsteht an dieser Stelle auch in den Kliniken ein großes Problem: Wenn wir adäquat operieren, dauert dies manchmal zwei oder drei Stunden. Die DRG bei Endometriose ist dann aber nicht kostendeckend und wir machen 1000 € Verlust pro Patientin.

Weil wir diesen riesigen Ansturm haben, wird bei uns gerade evaluiert, wie wir innerhalb der Klinik damit umgehen. Im Grunde genommen müsste ich ein eigenes Team erhalten. Wir müssten tägliche Sprechstunden anbieten, multimodal ansetzen und eine eigene Unit aufbauen. Es wäre an der Zeit, dass die Charité ein Pilotprojekt startet und eine eigene Pelvic Pain Klinik eröffnet.

Aber das ist wahrscheinlich nur mit finanziellen Fördermaßnahmen durch die Politik möglich?

Um so etwas zu etablieren, müsste man wieder einen Innovationsfond beantragen. Aber es braucht allein zwei Jahre, bis man den geschrieben hat, da das sehr kompliziert ist. Dann laufen die drei bis vier Jahre, müssen anschließend evaluiert werden und in der Summe dauert es etwa 10 Jahre, bis das bestätigt wird.

Haben Sie die Hoffnung, dass sich in der Politik zeitnah etwas ändert?

Nein, das glaube ich nicht so schnell. Ich bin jetzt noch mal zu einem Koalitionsfachgespräch eingeladen, aber das ist nur für eine dreiviertel Stunde angesetzt. Eigentlich müsste sich mal jemand in der Klinik angucken, wo die Probleme liegen. Die politische Akteure müssten live erleben, was betroffene Frauen zu erzählen haben.

Ich hoffe, dass wir zeitnah ein besseres Standing in den Kliniken bekommen. Wir Endometrioseexperten sind immer diejenigen, die defizitär arbeiten. Das ist nicht besonders schön. Wir haben für das Koalitionsfachgespräch mit unserem Controlling gerechnet und dabei ist folgendes herausgekommen: Wenn wir exakt dieselben OP-Schritte mit einer onkologischen Diagnose verknüpfen, also beispielsweise Gebärmutterschleimhautkrebs, können 7.000 € abgerechnet werden. Für Endometriose-OPs erhalten wir maximal 3.700 €, weil die DRG so schlecht ist. Und das, obwohl Endometriose eine Erkrankung ist, die einen Großteil unserer Frauen betrifft, die massive Einschränkungen in ihrem Leben haben.

Glauben Sie, die Situation wäre anders, wenn Endometriose eine Krankheit wäre, an der auch Männer erkranken könnten?

Wahrscheinlich schon. Ich glaube, es gibt nicht wenig Frauen, die ihre Karrierechance nicht wahrnehmen wegen ihrer Erkrankung, weil sie denken, sie schaffen das nicht. Denn wenn man 10 Jahre Diagnoseverschleppung hat, hat man zusammengenommen zwei Jahre Schmerzen. Das gibt’s ganz sicherlich nicht bei Männern – eine Krankheit, die so schmerzhaft ist.

Zur Person

Foto: Ben Fuchs

Prof. Dr. Sylvia Mechsner ist Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe an der Charité Berlin und leitet dort seit 2005 das Endometrioseforschungslabor.
Im Jahr 2010 hat sie zu dem Thema „Endometriose, das verkannte Frauenleiden — Untersuchungen zur Pathogenese und Schmerzentstehung“ habilitiert und wurde 2019 zur Professorin für Endometrioseforschung berufen.
Bereits seit 2014 leitet Prof. Mechsner das Endometriosezentrum der Charité, das Frauen berät und behandelt. Mit mehr als 1000 Konsultationen und 150 Endometriose-Operationen jährlich ist es eines der größten Zentren in Deutschland.

Buchtipp: „Endometriose – die unterschätzte Krankheit: Diagnose, Behandlung und was Sie selbst tun können“

ZS Verlag

Neben ihrer Tätigkeit in der Forschung und der Leitung des Endometriosezentrums hat Prof. Dr. Sylvia Mechsner einen ganzheitlichen Ratgeber über die nach wie vor oft unterschätzte Erkrankung, von der in Deutschland mindestens 2 Millionen Frauen betroffen sind und ca. 40.000 im Jahr neu erkranken, geschrieben. Auf mehr als 200 Seiten erklärt sie, was Endometriose ist, wie der weibliche Zyklus funktioniert und wie man schneller zur richtigen Diagnose kommt. Außerdem fasst sie den aktuellen Forschungsstand zusammen und beschreibt, wie sich die ärztliche Versorgung verbessern lässt. In einem weiteren Teil ihres Ratgebers zeigt die Expertin auf, wie betroffene Frauen selbst aktiv – mittels Ernährung, Entspannung und Bewegung wie Yoga – gegen die Krankheit vorgehen können und welche Möglichkeiten die Naturheilkunde bietet. Erfahrungsberichte von Patientinnen sollen Betroffenen Mut machen, dass es durchaus Wege aus der Schmerzspirale gibt.

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