Kategorien: Erleben & aktiv sein
Wie ist es, seine Jugend auf einer kleinen Insel in der Nordsee zu verbringen? Im Museum Kunst der Westküste in Alkersum auf Föhr gibt es derzeit eine Fotoausstellung, die sich genau mit dieser Frage auseinandersetzt. Unsere Autorin Jana Walther war für Klönstedt auf Föhr und hat sich die Ausstellung genauer angesehen.
Werbung für das Museum Kunst der Westküste
Strandpartys, Open-Air-Konzerte, Ferienjobs und ordentlich Urlaubstrubel: So sieht das Leben der Jugendlichen auf Föhr im Sommer aus. Doch was machen die jungen Insulaner:innen, wenn die triste Jahreszeit anbricht? Wenn das Eiland leerer und die Tage dunkler werden? Wenn das einzige Kino der Insel geschlossen hat, das Wetter stürmisch und der Himmel grau ist, die Urlauber:innen verschwinden und die letzte Fähre bereits am frühen Abend fährt? Genau das hat sich Fotograf Andreas Jorns gefragt.
Mehrere Wochen lang hat der Nordrhein-Westfale die Jugendlichen auf der Insel mit seiner Kamera begleitet – vor und während der Corona-Pandemie. Er folgte ihnen an ihre geheimen Orte, begleitete sie in den Sportverein, war bei den Pfadfindertreffen und Chorproben dabei, sah zu, wie sie ihre Tracht anlegten, traf sie bei den Vorbereitungen zum Biike-Brennen und begleitete sie beim „Kenknern“ (einer Tradition zu Silvester, die dem Rummelpott-Laufen ähnelt). Dabei hat er festgestellt: Das Leben der jungen Föhrer:innen im Herbst und Winter ist alles andere als trist und grau. Es ist bunt, vielfältig – und manchmal auch ein bisschen verrückt. Und es lebt von Traditionen, die es zum Teil nur auf der Insel gibt. In der Ausstellung „Inseljugend – Andreas Jorns“ ist ein Teil der entstandenen Aufnahmen im Museum Kunst der Westküste zu sehen. Eindrucksvoll wird dort gezeigt, was es bedeutet, auf Föhr aufzuwachsen.
Eine feste Gemeinschaft
Rund 8.500 Menschen haben auf Föhr ihren Erstwohnsitz, 357 davon sind zwischen 13 und 18 Jahre alt. Nomie und Nele sind zwei von ihnen. Für die beiden Abiturientinnen sei das Leben auf der Insel ein bisschen wie in Bullerbü. „Wir wachsen hier alle sehr behütet auf, gehen zu Fuß in die Schule. Jeder kennt jeden, jeder hilft jedem. Das ist völlig normal“, sagen sie. Sie wüssten es zu schätzen, in solch einer Umgebung aufzuwachsen. In gewisser Weise fühlten sie sich privilegiert. Inselleben – das bedeutet Zusammenhalt. Das bedeutet, Traditionen zu pflegen, den Strand direkt vor der Haustür zu haben und eine feste Gemeinschaft. Es bedeutet aber auch, dem ein oder anderen Konflikt lieber aus dem Weg zu gehen, sich mit seiner Meinung auch mal zurückzunehmen, erzählen die beiden Schülerinnen, die ebenfalls auf den Bildern der Ausstellung zu sehen sind. „Man kommt hier auf Föhr nicht aneinander vorbei. Das heißt zwar nicht, dass man nicht seine persönliche Meinung sagen kann. Doch man überlegt schon, wann man einen Konflikt wirklich austragen möchte und wann man ihm vielleicht lieber aus dem Weg geht“, erzählt die 18-jährige Nomie.
Traditionen spielen eine herausragende Rolle
Eine ganz besondere Rolle spielen die Traditionen auf Föhr. Diese werden von den jungen Insulaner:innen nicht etwa belächelt, sondern begeistert fortgeführt. Dazu gehört bei den Mädchen und Frauen das Tragen der Föhrer Tracht. Von Generation zu Generation wird diese weitervererbt. Zu besonderen Anlässen legen sie diese aufwendig verzierte Festtagskleidung an. Das kann gerne mal bis zu drei Stunden inklusive der aufwendigen Flechtfrisur dauern. „Wenn man sie trägt, fühlt man sich gleich ganz anders. Jede von uns freut sich, wenn sie die Tracht einmal anziehen darf“, erzählt die 19-jährige Nele, die ihre Tracht gerade zur Zeugnisübergabe bei der Abiturfeier präsentieren durfte. Mit einer großen Portion Stolz und Anmut tragen die Föhrerinnen ihre Friesentracht. Das spiegeln auch die Bilder der jungen Trachtenfrauen auf Andreas Jorns Fotografien wieder. Auf der einen Seite das Bild einer ernsthaften, würdevollen Frau am Föhrer Strand – gegenüber dann das Foto von derselben jungen Frau, wie sie ausgelassen bei einer Weihnachtsfeier tanzt. Dass dies ein und dieselbe Person ist, fällt schwer zu glauben. Beide Bilder sind etwas Besonderes, beide Bilder spiegeln sie wider.
„Ich fühle mich eingesperrt, weil man immer auf die Fähre warten muss – und zum Beispiel nicht mitten in der Nacht mal losfahren kann.“ (Teilnehmerin des Fotoprojekts, 15 Jahre)
Authentische, spontane Aufnahmen
Die Männer auf Föhr haben übrigens keine Tracht, schließlich fuhren diese früher zur See. Doch auch sie haben ihre ganz eigene Tradition. Die „Hualewjonken“ – eine Gruppe junger, unverheirateter Männer unter 30 – treffen sich regelmäßig zum feuchtfröhlichen Austausch bei dem ein oder anderen Föhrer Manhattan, dem Nationalgetränk der Insel. Fotograf Andreas Jorns durfte sogar bei einer eigens anberaumten Sitzung dabei sein – eine absolute Ehre, wie Nomie klarstellt.
Die Ausstellung will aber nichts beschönigen. Sie zeigt authentische, spontane Aufnahmen. Andreas Jorns hat es geschafft, ganz dicht an die Jugendlichen heranzukommen – und so haben sie ihn an ihrem echten Inselleben teilhaben lassen. Zitate begleiten die ausgewählten Bilder an den Wänden. Diese zeigen auch die Schattenseiten des Insellebens. Ein großes Thema: das Problem mit der Fähre. Ebenso der Spagat zwischen der positiven Bereicherung durch die Tourist:innen wie neue Kontakte oder die Schaffung von Arbeitsplätzen zu dem wahnsinnigen Inseltrubel im Sommer.
Am Ende der Ausstellung wird jedem klar: Es ist ein Spannungsfeld, zwischen dem sich die Inseljugend bewegt. Zwischen Idylle und Trubel, zwischen Sehnsucht und Einsamkeit, zwischen Ruhe und Abgeschiedenheit, zwischen Tradition und Moderne. Und jede:r der Insulaner:innen zieht für sich die persönlichen Schlüsse daraus. Während für die eine schon jetzt klar ist, dass es nach dem Schulabschluss erstmal runter von der Insel geht, weiß der andere sicher: Ich bleibe, um den Familienbetrieb zu übernehmen.
„Ich mag den Winter auf Föhr. Dann haben wir die Insel wieder für uns.“
(Teilnehmerin des Fotoprojekts, 17 Jahre)
Die Ausstellung „Inseljugend – Andreas Jorns“ ist Teil der Ausstellungsreihe „Made on Föhr“ des Artist-in-Residence-Programm des Museum Kunst der Westküste. Sie ist zu sehen bis zum 27. November im Museum Kunst der Westküste. Passend zur Ausstellung gibt es auch einen 176-seitigen Katalog, in dem noch mehr Aufnahmen und Hintergrundinfos zu finden sind.
Museum Kunst der Westküste
Das Museum Kunst der Westküste ist ein gemeinnütziges Stiftermuseum, welches 2009 seine Türen in Alkersum auf Föhr geöffnet hat. Es sammelt, erforscht und vermittelt Kunst, die sich vornehmlich mit den Themen Meer und Küste auseinandersetzt. Besonderes Augenmerk liegt hierbei auf den Westküstenländern Niederlande, Deutschland, Dänemark und Norwegen und hier auf der Kunst des 19. bis 21. Jahrhunderts. Regelmäßig wechseln die Ausstellungen, sodass immer wieder ein abwechslungsreiches Programm geboten wird. Auch virtuell können sich Besucher:innen hier durch die Ausstellung begeben.
Aufgepasst! Hier gibt’s den Beitrag auf Plattdeutsch für die Ohren:
Wie kann ich Klönstedt unterstützen?
Das ist ganz einfach. Es sind die vielen kleinen Taten, die Klönstedt groß werden lassen. Melde dich zum Newsletter an, folge uns auf Instagram, lies unsere Artikel, schau unsere Videos, oder nimm an unseren Dorftreffen teil. Neben all der Liebe, die in diese Inhalte und Veranstaltungen fließt, kostet die Herstellung der Inhalte auch Geld. Damit Klönstedt auch weiterhin nur wenig Werbung zeigen muss, benötigen wir finanzielle Unterstützung von euch. Wir informieren euch bald über eine neue Möglichkeit, wie ihr Klönstedt auch finanziell unterstützen könnt.
Hinterlasse einen Kommentar