Kategorien: Familie & Partnerschaft - Leute
In unserer neuen Rubrik „Dorfgeflüster“ lassen wir die Community zu Wort kommen. Hier finden Geschichten und Themen Raum, die eher nicht auf den Titelseiten stehen, aber dennoch einen Platz in unseren Leben einnehmen. Den Anfang macht Yvonne: Sie erzählt uns, wie sie zur Stay-at-home-Mom wurde, obwohl sie es eigentlich nie geplant hatte.
Es ist ca. 10 Uhr. Ein Kind ist zur Schule, eins in der Kita und eins habe ich erfolgreich müde spaziert. Wenn’s gut läuft und niemand auf die lebensbedrohliche Idee kommt hier zu klingeln, schläft es nun gut eine Stunde draußen vor der Tür.
Mit Handy und Kaffee ausgerüstet lasse ich mich nur gaaanz kurz auf die Sirenengesänge des Sofas ein und erwische mich bei einer routinemäßigen Insta-Visite. Wohl wissend, dass der Geschirrspüler genau gemerkt hat, was läuft und mir energisch zu wissen gibt, dass er bereit ist, ausgeräumt zu werden und jetzt vielleicht auch ein guter Zeitpunkt wäre meine Pyjamahose gegen eine Jeans und einen BH zu tauschen, starte ich meinen Run durch die morgendlichen Storys.
Von perfekten Küchen, die durch eine „ganz zufällig“ platzierte offene Milchtüte mehr Real Life vermitteln sollen und schlanken Körpern, neuem Lebensgefühl durch unzählige Präparate, mag ich am liebsten die, die zeigen wie ihre Wohnungen, Körper und Pyjamahosen wirklich aussehen. Jetzt, wo sie morgens, so wie ich, dafür verantwortlich sind das ihre Kinder ordentlich frühstücken, eine durchweg gesunde und gut gefüllte Brotdose im Rucksack haben, einigermaßen adäquat angezogen sind (bestenfalls ohne Nervenzusammenbruch, weil der einzige Pullover, der überhaupt heute in Frage käme noch in der Wäsche ist, die ich gestern nicht mehr geschafft habe, obwohl ich nur zu Hause war.) und pünktlich überall abgeliefert werden.
Heute vor sieben Jahren …
Geraaade als ich mich dem Geschirrspüler, meiner seit neustem wieder kneifenden Jeans und einem BH (der auch nur noch kümmerlich versucht hochzuhalten, was dreimal Stillen übrig gelassen haben) widmen will, ploppt eine Benachrichtigung meiner Galerie auf: „Heute vor sieben Jahren.“ Normalerweise kommen zuckersüße Bilder von der Großen als sie ca. zwei Jahre war, die ich dann direkt per WhatsApp verschicke. Aber nicht heute … mein Handy hat sich offensichtlich mit dem Geschirrspüler und der Waschmaschine verbündet.
Zu sehen ist ein Selfie von einer Frau Mitte 20: Figur, Make–up, Haare, Klamotte, alles sitzt. Sie sieht glücklich aus, irgendwie strahlt sie Power aus. Ich kann mich wage an sie erinnern. Zur Zeit des Fotos ist sie Mama einer kleinen Tochter, frisch verliebt, voller Pläne und festen Prinzipien. Aus dem Haus gehen wie Frau Hempel, das kam nicht in Frage. Ich bin mir sicher, dass sie sowas wie eine Pyjamahose nicht mal besaß.
Mit Leib und Seele Mama? Zu 100 %
Aber auf keinen Fall konnte das alles sein. Als Mama musste man mehr sein. Eigenständig, finanziell unabhängig, erfolgreich, präsent. Es musste möglich sein Kind, Job und Weiterbildung sowie später die Selbstständigkeit locker unter einen Hut zu kriegen ohne das etwas auf der Strecke blieb. „Nur“ Hausfrau und Mutter zu sein war keine Option. Auf gar keinen Fall würde sie jemals mit Crocs und Duschdödel auch nur irgendeinen Kindergarten betreten.
Heute hätte ich über ihre Insta-Storys vermutlich die Augen verdreht und mich ein wenig geärgert. Auf den Selfies ein paar Jahre später und mit einem zweiten Baby hat sie zwar ein paar Augenringe mehr, aber noch die gleichen Prinzipien. Papa nimmt das erste Jahr Elternzeit. In der Theorie passte es perfekt in das Konzept. Doch was man auf dem Selfie nicht sieht: In der Praxis hat es sie gequält.
Versteht mich nicht falsch. Papa hat es gerockt und Baby hat es ihm wirklich nicht leicht gemacht. Die Spuren im Boden rund um den Esstisch sind Beweis genug. Ich finde jeder Vater sollte die Möglichkeit haben lange Elternzeit nehmen zu können ohne in finanzielle Schwierigkeiten zu geraten oder bei der Arbeit schlecht da zu stehen. Aber schon nach sechs Wochen wieder los zu müssen und so viel Babyzeit zu verpassen war hart – super hart. Den Zwerg mit einem Jahr möglichst schnell in die Kita einzugewöhnen, damit es weiter gehen kann im Laden – Katastrophe.
Abends im Bett löste ein Husten durchs Babyphone puren Stress darüber aus, wie nun die nächsten Tage laufen sollen mit einem kranken Kind zu Hause, aber auch wartenden Kunden im Laden. Wer bleibt zu Hause, wer bekommt entweder Ärger mit dem Chef oder den Kunden, die schon wieder vertröstet werden müssen. Genau wie vor vier Wochen als es zwar kein Husten, aber dafür Fieber war und Oma keine Zeit hatte.
„Diese Frau war zerissen: War sie zu Hause, war sie nicht genug im Laden und war sie im Laden quälte sie der Gedanke nicht genug zu Hause zu sein.“
Die Fotos zeigen es nicht aber diese Frau war zerissen. Jeden Tag aufs Neue: War sie zu Hause, war sie nicht genug im Laden und war sie im Laden quälte sie der Gedanke nicht genug zu Hause zu sein. Dazu musste ja auch noch der Rest aufrecht erhalten werden. Nach zwei Kindern sind die wenigsten einfach wieder Gertenschlank. Nein, der Zucker musste weg. Kohlenhydrate wurden direkt mit verbannt. Hächelnd und Fliegen verschluckend mindestens 4 km rennen pro Tag und dabei fast krepieren, sollte wohl kein Problem sein. Andere schaffen das Doppelte und die haben auch Kinder und ‘nen Job.
Sie hätte es niemals eingesehen, aber heute weiß ich, sie war am Limit …
Und dann die Geschichte mit den Bienen, den Blümchen und der unvorhergesehnen Bestäubung … Baby Nummer Drei kündigte sich an und ich weiß noch, dass sie und ihr Mann völlig geschockt aus allen Wolken fielen. Ihnen war klar: Keine Chance, dass es so weiterlaufen könne wie bisher.
Mutti bleibt zu Hause
Schluss mit der Selbstständigkeit und vor allem mit der finanziellen Unabhängigkeit. Alles was sie sich aufgebaut und wo sie sich zu Coronazeiten durchgequält hatte, war vorbei – Ende! Aus! Das war unglaublich hart und es war sowas von GENAU DAS RICHTIGE für sie und ihre Familie.
Das Leben hat oft andere Pläne und nimmt keine Rücksicht ob sie mit deinen eigenen Plänen einher gehen. Ich bin nicht mehr wie die Frau auf dem Selfie.
„Ich bin grundsätzlich übermüdet, overtouched und vergesse morgens manchmal das zweite Auge zu tuschen bevor ich die Kinder kutschiere.“
Ich bin grundsätzlich übermüdet, overtouched und vergesse morgens manchmal das zweite Auge zu tuschen bevor ich die Kinder kutschiere. Meine Pyjamahose, Crocs und mein Duschdödel sind ein täglich grüßendes Murmeltier (ja, auch in der Kita) und ich liebe es!! Ich liebe es, jederzeit für sie da sein zu können, ob krank oder nicht. Ich genieße es, mir jeden Moment von ihnen voll reinziehen zu können ohne das Gefühl zu haben im Gegenzug dafür woanders gerade total zu versagen.
Jap, meine Jeans kneift, weil ich niemandem mit drei Kindern empfehlen würde auf nervenrettenden Zucker zu verzichten. Und wehe mein Mann kommt auch nur ein paar Minuten zu spät von der Arbeit, um mir dann lächelnd eine vorpubertäre Zicke, einen Turnbeutel vor dem Herren und einen völligen Psychopaten in Pampers abzunehmen, damit ich alleine aufs Klo kann. Eigentlich bin ich die meiste Zeit auch die fieseste Mama von allen. Aber ich bin glücklich und dankbar dafür, einfach „nur“ Hausfrau und Mutter sein zu können und genau da zu sein, wo ich am allermeisten gebraucht werde.
Es wird immer Tage geben, da sehne ich mich zu dem Selfie zurück. Irgendwann muss auch wieder eine neue Berufung und eventuell neue Hupen her, aber noch sind die Kinder klein. Noch hab ich Zeit. Außer für den Geschirrspüler …
Der Kinderwagen meldet sich. Die Stunde ist rum.
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Eine Story in der ich mich absolut wieder erkenne
Moin Manuela, wir freuen uns sehr, dass dich unser Beitrag abholt. Danke, dass du deine Gedanken mit uns teilst! Liebe Grüße von Cathy & dem ganzen Klönstedt-Team
Ein wundervoller, realistischer Text. Chapeau Yvonne!
Moin Telse, da gehen wir mit! Schön, dass dir der Beitrag gefällt. Yvonne wird sich über die anerkennenden Worte freuen. Danke! Liebe Grüße von Cathy & dem ganzen Klönstedt-Team
wow, wunderbar und realistisch geschrieben, da erkenne ich mich gleich wieder.
Liebe Yvonne,
vielen Dank für das tolle Feedback! Es ist schön, dass du dich mit unserem Beitrag identifizieren kannst. Falls du weitere Themen hast, die dich interessieren, lass es uns wissen!
Liebe Grüße von Cathy & dem ganzen Klönstedt-Team