Unsere Autorin Vanessa Schön hat sich immer eine Familie mit drei Kindern gewünscht. Und war zuversichtlich, dass sich dieser Wunsch irgendwann erfüllen würde. Als sich herausstellt, dass ihr Mann diese Vorstellung so gar nicht teilt, kämpft sie mit allen Mitteln dagegen an. Uns gibt sie einen Einblick in ihre Gefühlswelt: Wie es sich anfühlt, mit einem einseitigen Kinderwunsch zu leben.

Willst du mal Kinder haben? Ja, drei! Im jungen Erwachsenenalter stellte ich mir mein Mutter-Ich immer mit drei wilden Jungs vor. Vieler meiner liebsten und besten Freunde im Kindesalter waren Jungen gewesen und meine eigene Pubertät reflektierend, hielt ich drei Jungs für eine gute Idee. Gut, mein Bruder hätte mich vielleicht an der Stelle abschrecken können, aber das hat er nicht. Zumindest nicht ausreichend.

Als in meiner ersten Schwangerschaft feststand, dass das Baby ein Mädchen ist, war ich wiederum sehr froh über diese Tatsache, denn ich war alleinstehend und mir erschien es so, dass die Vaterlosigkeit meines Kindes für ein Mädchen vielleicht ein Stück weniger schwerwiegend seien könnte, als sie es gegebenenfalls für einen Jungen wäre. Was blieb war aber der Wunsch, irgendwann einmal drei Kinder zu haben. Eins. Zwei. Drei. Keine Kompromisse.

Als einige Jahre später, ich war mittlerweile verheiratet, unsere zweite Tochter geboren wurde, äußerte mein Mann wage Bedenken an dieser Idee. Immerhin war er innerhalb von 2,5 Jahren um zwei Kinder reicher geworden und das quasi aus dem Stand. Vom Junggesellendasein ins Familienleben ohne Vorbereitung. Jetzt noch mehr Kinder? Wer soll das bezahlen? Wann wollen wir je wieder schlafen? In was für ein Auto sollen wir passen? Was für Urlaub wollen wir machen mit drei Kindern? Was mir wie die beste Idee aller Zeiten vorkam, hörte sich aus seinem Mund wie eine völlige Schnapsidee an. Damals war ich 27 und er gerade 30. Wir hatten also noch Zeit. Ich machte mir keinen großen Kopf und ließ die Sache erstmal laufen. Manch einer muss sich auch an die guten Dinge im Leben erst einmal gewöhnen.

Es fehlt noch was!

Unsere Jüngste wurde drei und ich merkte, wie unruhig mich das machte. Plötzlich waren so viele mögliche „letzte Male“ in unserem Leben. Ich wurde 30, der Abstand zwischen den aktuellen und potenziell folgenden Kindern größer. Er hatte ja immer gesagt, er wolle nie ein „alter Vater“ sein. Müssten wir dann nicht jetzt? Ich hakte nach.

Nein. Seine Haltung war klar. Das passt jetzt nicht. Das ist zu viel. Ein Kind gerade in der Schule, eins im Kindergarten. Fängt jetzt nicht erstmal die Zeit der Erholung des Alltags an? Die Zeit, wo er nach der Nachtschicht am Vormittag nicht wach wird, weil ihm eine seiner Töchter Polly Pocket in die Nase schiebt, während er schläft? Okay, aus seiner Warte kann ich das nachvollziehen. Außerdem: Was war denn mit den Finanzen? Ich hatte den Plan zu studieren verworfen, aber in meinen letzten Bürojob gab es auch kein Zurück. Was wollte ich denn langfristig mal arbeiten? Wäre es nicht sinniger erstmal irgendwo anzulanden, wo man nach der möglichen dritten Elternzeit auch gern hin zurück wollte und könnte? Und was ist mit seinem Job? Die Bertriebsschließung stand schon seit Jahren auf dem Plan, wurde aber immer wieder verschoben. Und würde das aktuelle Gehalt für drei Kinder reichen? Inklusive aller Schuhe, Fahrräder und Reitkurse?

3 Jahre Aufschub

Ich verstand ihn so, dass er Zeit brauchte. Meine Güte! Ich war 30. Wir hatten doch jede Menge Zeit. Und er hatte ja recht. So richtig fest war das Fundament, auf dem ich bauen wollte nicht. Und so entschloss ich mich, die Erzieher:innenausbildung zu machen, statt des Sozialpädagogikstudiums. Das wären so ca. 3 Jahre Aufschub für Baby Nummer 3. Geht!

Ein gutes Gefühl machte mir das trotzdem nicht. Ist das, was für mich eine solche Bereicherung ist, für ihn etwa tatsächlich eine Belastung? Ist das alles für ihn rückblickend ein Fehler gewesen? Seine Unfähigkeit, ein klares JA zu einem dritten Kind zu geben, wurde von mir an schlechten Tagen umgedeutet in ein NEIN zu mir und unserer Familie. In mir wuchs ein Knoten aus schlechten Gefühlen, der sich mit jedem verstrichenen Monat und jeder glücklichen Schwangeren in meinem Umfeld vergrößerte. Denn ich war mir sicher: Wir sind noch nicht komplett.

Jetzt aber! Oder nicht?

Als die Erzieher:innenausbildung auf ihr Ende zuging, war es an der Zeit, dies alles noch einmal als Paar zu thematisieren. Das Ergebnis blieb das gleiche. Ich war mir sicher und wurde langsam unleidlich. Er war sich sicher, dass das nicht der richtige Zeitpunkt ist und wurde unleidlich ob meiner Unleidlichkeit. Schlussendlich schlug er vor, eine Weiterbildungsmaßnahme zu machen. 2 Jahre. Das würde seine Jobsituation so weit verbessern, dass seine finanzielle Sorge rund um eine Familie von 5 abgehakt werden könnte. Und man könne ja einfach mal so grob planen, dass ich zum Ende hin schwanger werden würde. Oder so. Ja, gut, meinetwegen. Klingt vernünftig. Und das sollte man als Eltern ja sein. Vernünftig.

Sie denkt, er denkt…

Was ich nicht wusste: Da ich gegen die weitere Verschiebung keine großen Einwände hatte, ging er erleichtert davon aus, dass mein Wunsch nach einem weiteren Kind „ausklingt“ und diese weiteren 1,5 Jahre dazu reichen würden, mich gänzlich von dieser Idee abzubringen. Was er nicht wusste: Mir kam nach all der langen Zeit der Zeitraum von etwa 1,5 Jahren nicht mehr wirklich lang vor. Ich glaubte, das Licht am Ende des Tunnels zu sehen und begann munter das „Leben danach“ zu planen. Inklusive eins, zwei, drei Kinderlein.

Und dann kam der Tag…

… zum Ende seiner Weiterbildung, an dem ich davon sprach, dass ich mir einen Termin beim Frauenarzt geholt hatte, um die Spirale ziehen zu lassen. Das war dann auch der Tag, an dem er mir zum ersten Mal klar und deutlich sagte, dass er auf gar keinen Fall ein weiteres Kind wolle. Und, dass er tatsächlich gehofft hatte, dieser Wunsch würde sich mit der Zeit durch älter werdende Kinder und zurückgewonnene Freiheiten von allein erledigen.
Während ich also innerlich regelrecht darauf hingefiebert hatte ein weiteres Mal schwanger sein zu können und ein Kind zu bekommen, hatte er sich von dieser Vorstellung immer weiter und weiter entfernt. So weit, dass sie an seinem Horizont kaum noch zu erahnen war, während es in meinem Kopf eine übergroße blinkende Lichtreklame für ein drittes Baby gab.
Wie gut und bequem wir es doch jetzt hätten, versuchte er mich zu überzeugen. Was wir jetzt nicht alles machen könnten. Gute Jobs, ausreichend Geld, zwei wunderbare Töchter. Ja, reicht dir das nicht?

Nein. Leider nein.

Diese Vorstellung, dass mein Kinderwunsch „ausklingen und sich irgendwie von selbst erledigen würde“, sie kommt mir damals wie heute völlig abstrus vor. Ich bin kein leichtfertiger Mensch, nicht impulsiv, übermäßig wagemutig oder gar wankelmütig. Dass ich die Idee eines dritten Kindes, die Idee die ich von unserer Familie, ja, von meinem Leben habe, verwerfe wie den Einfall, am Wochenende vielleicht nach Sankt Peter-Ording zu fahren, war eigentlich von vornherein ausgeschlossen. Sie basierte einzig und allein auf der Hoffnung meines Mannes, aus der Nummer ohne viel Aufhebens rauszukommen. Dem war nicht so.

Auf dem Flur steht ein Elefant. Was machen wir jetzt damit?

Ich habe nicht getobt oder so. Nein. Aber ich fühlte mich verraten. Ungewollt. Ich hatte das Gefühl, die Kontrolle über mein Leben verloren zu haben.
Es wäre mir nie in den Sinn gekommen, meinen Mann zu verlassen. Ich weiß, dass viele an dieser Stelle durchaus mit dem Gedanken spielen. Mir wäre es sehr egoistisch vorgekommen, meinen Kindern aus diesem Grund ihre Familie so wie sie sie kennen, wegzunehmen und eine Beziehung, in der ich ja so glücklich war, dass ich mir ein drittes Kind wünschte, aufzugeben, weil wir uns in diesem einen Punkt nicht einigen konnten. Aber es ging mir schlecht damit. Rationalität ist dem Herzen egal. Es fühlt, was es fühlt. Und ich saß in dem Haus mit dem leeren Kinderzimmer, fuhr den auf Zuwachs gekauften VW-Bus, arbeitete mit Kleinkindern und war ständig mit werdenden und jungen Müttern und dem ganzen drumherum konfrontiert und es ging mir damit schlecht. Wirklich richtig schlecht.

Klar, es gab immer auch gute Tage. Tage, an denen ich dachte, ich würde etwas anderes finden, das im Stande wäre, diese Lücke zu füllen. Ich würde vielleicht wirklich irgendwann drüber wegkommen. Aber es gab auch viele schlechte Tage. An denen ich missgünstig war, traurig, wütend, verzweifelt. Dass meine beiden Töchter entsprechend ihrem Alter anfingen mich immer weniger zu brauchen und sich auch ohne uns Eltern immer weiter hinaus in die Welt trauten, machte es an manchen Tagen nicht besser.

Abschließen können

Wünschte ich mir in den vorangegangenen Jahren noch, mein Mann würde spontan seine Meinung ändern (so von „später“ auf „jetzt“), so begann ich mich jetzt zu fragen, was ICH  tuen kann oder muss, um endlich damit abschließen zu können. Ihr dürft mir glauben: Ich war zu allem bereit! Und mein Mann gewissermaßen auch, denn an ihm ging ja auch nicht vorbei, wie ich mich damit quälte, wie oft ich still vor mich hin weinte und wie düster manche Tage waren.
In einem Anfall von blindem Aktionismus, aus dem tiefen Wunsch heraus, wieder Herrin über mein Leben zu werden, schlug ich vor, unser Haus zu verkaufen. Das Haus mit den vielen Kinderzimmern, mit der Seilbahn im Garten und dem süßen kleinen rotweißen Kinderspielhaus. Ich brauchte Veränderung. Große Veränderung. Und wir verkauften es und bauten ein Haus mit zwei schön geschnittenen Kinderzimmern und einem kleinen Garten. Ein Haus für alte Leute oder wie man heute sagt „Best-Ager“, deren Kinder quasi schon auf dem Sprung sind und die darauf warten, aus ihren Zimmern einen Yoga-Raum und einen Fitnessraum mit riesiger Glotze zu machen.

Der Schmerz geht nicht weg

Dann bestand ich darauf, den VW-Bus zu verkaufen. Zu Hollandurlauben mit drei Kindern, Kinderwagen und Hund würde es ja ohnehin nicht mehr kommen. Die Kinder fuhren meistens ÖPNV. Wie das Klischee eines Mannes in der Midlifecrisis stieg ich vom Familienbomber auf ein kleines schwarzes Cabrio um. Für Kinder unter 10 ungeeignet. Genau das Richtige für eine Frau Mitte/Ende 30, die zwanghaft versucht, ihrem Leben eine neue Richtung zu geben.
Ich tilgte die Möglichkeiten aus meinem Leben. Ich versuchte, alle äußeren Faktoren so abzustimmen, dass eben genau überblieb, was wir waren. 4. Und ich liebte uns 4 ja auch sehr. Trotzdem hatte ich mir mein Leben anders vorgestellt. Und so sorgte ich für Maßgenauigkeit. Raum für 4. Zeit für 4. Pläne für 4.Trotzdem ging das Gefühl nicht weg. Wir waren einfach nicht komplett und egal was und wie ich es mir einzureden versuchte, ging der Schmerz nicht weg.

Schnipp Schnapp! Funktioniert für Samenstränge. Nicht für Gefühle.

Rückblickend war es keiner meiner Glanzmomente, aber bei solchen Themen wie dem Kinderwunsch hat man ja nicht immer und durchgehend guten Kontakt zu seinem Großhirn. Wäre es so, wäre vielleicht aus so manchem ältesten Kind einer Großfamilie am Ende doch nur ein Einzelkind geworden oder umgekehrt. In unserem Falle war es aber nun so, dass der Wunsch nach weiteren Kindern ganz klar nur bei einem Teil des Ehe-Wirs lag. Bei mir. Während das mir angeheiratete Gegenüber anscheinend ein großflächiges Gesichtstattoo eher in Erwägung ziehen würde als ein weiteres Kind. Und so hörte ich mich eines Tages sagen, dass ich, da ich ja nach wie vor einen Kinderwunsch hätte, es nicht einsehen würde, dass die gesamte Verantwortung der Verhütung bei mir läge. Nicht völlig grundlos vermutete ich, dass meine Hormonspirale nicht nur für die weitere Kinderlosigkeit verantwortlich zu machen sei (also rein technisch), sondern auch dafür, dass ich eine gewisse Expertise im Bereich „Altersakne“ erworben hatte. Eine eher unschöne und zuweilen auch schmerzhafte Erfahrung, auf die ich gut hätte verzichten können. Also: Der, der keine Kinder will, soll sich gefälligst auch drum kümmern, dass er keine zeugt. Oder nicht?

Tatsachen schaffen

Ich gebe zu, ein bisschen habe ich zu dem Zeitpunkt darauf gehofft, dass es dem Gatten an Gewissenhaftigkeit mangeln würde und er sich irgendwann für einen Verhütungsunfall verantwortlich zeichnen müsste. Also, nur ein bisschen. Außer Acht gelassen hatte ich aber die Tatsache, dass mein Mann sich dahingehend ebenso einschätzte und dann sein klarer Vorzug für langfristige und effiziente Lösungen zum Einsatz kam: „Ich lasse mich sterilisieren!“ Okay, wow. Tatsachen schaffen nennt man das wohl.
Und warum ich das dann nicht verhindert habe? Na, weil ich nach einem ersten Schock die Idee gut fand. Weil ich dachte, dieser kleine und relativ kostengünstige Eingriff würde große Auswirkungen auf mein Seelenleben haben. Ich würde abschließen können. Alle Möglichkeiten wären dahin. Die letzte Chance verstrichen. Das Thema durch. Und war es?

Natürlich nicht.

Dieses dritte Kind blieb eine offene Stelle auf meinem Herzen

Dieser Einschnitt (wie doppeldeutig!) brachte aber alles andere als die gewollte Endgültigkeit und die Möglichkeit, endlich abschließen zu können. Eher im Gegenteil. Er gab meinem „Struggle“ eine ganz neue Qualität. Meine Wut und Traurigkeit richteten sich plötzlich vornehmlich gegen mich selbst. Warum bin ich nicht in der Lage es gut sein zu lassen? Warum kann ich seine Entscheidung akzeptieren, aber scheinbar nicht deren Konsequenz? Warum habe ich die Sterilisation zugelassen? Wie kann ich so viel Großartiges in meinem Leben haben und trotzdem so unglücklich damit sein? Was stimmt nicht mit mir?

Meine Unfähigkeit, die Sache ruhen zu lassen, wurde MEIN GROSSER FEHLER, den ich trotz allem, trotz Aussichtslosigkeit und wider besseren Wissens, nicht ausmerzen konnte. Ich war auf ganz vielen Ebenen nicht okay und das blieb auch. Dieses dritte Kind blieb eine offene Stelle auf meinem Herzen. Sie heilte schlecht bis gar nicht. Der Schmerz wurde Normalität, manchmal merkte ich ihn kaum, obwohl er da war und immer, wenn jemand die Stelle anstieß (zum Beispiel durch Nachfragen oder eigene Schwangerschaft) dann riss sie wieder auf und tat ein paar Tage oder Wochen wieder stärker weh. Ich würde gern etwas Positiveres berichten, kann ich an dieser Stelle aber nicht.

Hier gibt’s den Beitrag noch einmal auf Platt für die Ohren:

Fortsetzung folgt…

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