Kategorien: Familie & Partnerschaft
Als der Mann unserer Community-Autorin plötzlich starb, stand ihr Leben still – und doch ging es weiter. Zwischen Trauer und Bürokratie erlebte sie, wie wenig Platz es für Menschlichkeit in der Verwaltung gibt und warum manche Worte oft mehr belasten, als sie trösten.
Die Krise meines Lebens begann morgens um 7 Uhr. Ich öffnete die Vorhänge, der Himmel war blau, keine Wolke weit und breit. Genau das richtige Wetter für den Wanderausflug, den wir uns vorgenommen hatten – mein Mann und ich. Aber mein Mann war tot im Bett. Als ich mich umdrehte, lag er ganz vertraut auf der rechten Seite, die Augen geschlossen. Statt seines typischen verschlafenen Kommentars „Wie spät ist es?“ kam nichts. Ich ging ums Bett rum – er atmete nicht mehr. In dieser Sekunde wusste ich, dass sich mein Leben grundlegend ändern würde – radikal. Einfach aus dem Nichts vor die Wand und auf Los zurück.
Gemeinsam haben wir 40 Jahre geteilt. Vier Jahrzehnte durch dick und dünn. Kinder bekommen, Haus gebaut, Job gewechselt – alles wie bei Otto Normal. Und nun? Alleine, Single, Witwe … Meinen Sie mich?
Die Krise in der Krise
Das eine ist, einen Menschen zu verlieren, den man geliebt hat. Das andere ist der Umgang des Umfelds damit. Deshalb möchte ich hier über die Krise in der Krise schreiben. Die macht alles noch schlimmer als es ohnehin ist.
Da ist zum Einen die Trauerpost. Jeden Tag kamen Briefe: mal mit schwarzem Rand, mal mit „Trauerhaus“ adressiert und mal mit einem Kreuz auf dem Umschlag. So ging es über Tage und Wochen. Irgendwann habe ich gedacht, hoffentlich hört das bald mit den Briefen auf. Ich wurde trübsinniger und trübsinniger, obwohl ich nicht zur Depression neige.
Immer stark zu sein, erschöpft auf Dauer
Nicht, dass ich falsch verstanden werde: Es ist schön, wenn man seine Anteilnahme ausdrückt und Beileid bekundet. Und ich werfe auch keinem vor, dass er in dieser Situation unbeholfen ist, wenn man trösten möchte. Auch ich habe bislang immer nach den richtigen Worten gesucht, die ich bei einem Todesfall schreibe. Aber die Formulierungen „Ich wünsche dir Kraft“ und „Du bist eine starke Frau“ werde ich künftig nicht mehr benutzen.
Diese Art von Anerkennung für die eigene Stärke ist zwar gut gemeint, aber bei mir löst das einen Stich aus. Ich werde so wahrgenommen, dass ich immer hundert Brände gleichzeitig löschen kann. Immer stark sein zu müssen, erschöpft aber auf Dauer. Es ist ja nicht so, dass ich mir das ausgesucht habe. Ich habe es hinbekommen – ok – aber schön wäre doch mal ein Leben, das einfach leicht und unbeschwert wäre. Diesen Stempel „starke Frau“ bekommt man dann von anderen als Etikett – ein Lob hört sich für mich anders an.
Ohne Anteilnahme
Und dann ist da der Umgang der Behörde mit dem Todesfall. Bei mir war es das Amtsgericht, wo ich den Erbschein beantragen musste. Welche Papiere ich dafür benötige, habe ich im Internet recherchiert. Mein erster Besuch endete nach fünf Minuten. Obwohl ich alle Unterlagen hatte, brauchte ich einen Termin, bei der zuständigen Sachbearbeiterin. Sechs Woche später folgte der zweite Besuch. Ich nahm auf einem harten Stuhl in einem überfüllten Büro Platz, gegenüber die Verwaltungskraft hinter dem PC, rechts und links eingerahmt von Aktenstapeln. Sie schaute weiter auf ihren PC und fragte stakkatoartig: „Um wen geht es? Und wer sind Sie?“, ohne Pause hintereinander weg – ohne jegliche Form der Anteilnahme. Sie tippte aufgrund meiner Antworten weiter wortlos in ihrem PC rum, ohne etwas zu erläutern, druckte ein Etikett aus, klebte dieses auf einen grünen Aktendeckel. Damit wurde aus dem Toten ein Vorgang.
Ein Teil der Statistik für Sterbefälle
Kurz und knapp kam dann eine Anweisung: „Wir müssen jetzt zur Rechtspflegerin.“ Also im Entenmarsch über den Gang mit Linoleumboden bis ins letzte Büro auf der rechten Seite. Auch von dieser Mitarbeiterin kein Beileid. Wortlos arbeitet sie an einem Formular. „Sollen wir das Grundbuchamt informieren und dort auch die Änderung veranlassen?“ Ich stimme zu und nicke. „Sie bekommen den Erbschein dann in vier Wochen zugeschickt.“ Das war’s – mein Mann ist nach 20 Minuten bürokratisch abgewickelt, nur noch ein Teil der Statistik für Sterbefälle. Brutal real.
Eine Wurzelbehandlung ohne Betäubung
Ich würde mir wünschen, dass es gerade beim Nachlassgericht wie bei meinem Zahnarzt läuft. Dass Trauernde an die Hand genommen werden – Schritt für Schritt der Prozess erläutert wird und man auch begreift, was da bürokratisch notwendig ist. Menschen, die völlig überwältigt von ihren Gefühlen sind, sollten auf keinen Fall allein den Erbschein beantragen. Bei mir war es wie eine Wurzelbehandlung ohne Betäubung.
Diese zwei Beispiele zeigen vielleicht auch, dass es nicht DIE eine Lebenskrise gibt. Es gibt den Schmerz im Kern und viele Satelliten drumherum, die Narben hinterlassen.
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