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Person sitzt auf einem Tisch vor einer Wand mit Bildern.

Foto: Marie Monecke

Katrin Lazaruk verhilft Kassetten zu ihrer Rückkehr. Die Künstlerin fertigt aus den Bändern alter Tonträger wunderschöne Porträts. Mit Vulva-Frisuren aus Kassettenband setzt sich die 34-Jährige außerdem für die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern ein. Wir besuchten sie in ihrem kleinen Atelier – einem ehemaligen Kiosk mitten in Osnabrück.

Streifen für Streifen klebt Katrin Lazaruk auf den Kunststoffrahmen. Ganz nah untereinander und lückenlos. Sie klebt so lange, bis alles schwarz ist – von oben bis unten voller Kassettenband. Mit einem feinen Stift zeichnet sie konzentriert das Motiv vor, das später zu sehen sein soll: Ein Blumenwerfer.
Dann greift sie zum Skalpell, das neben ihr liegt. Vorsichtig schneidet sie jede vorgezeichnete Linie aus. Das Band, was nicht mehr gebraucht wird, zieht sie vom Rahmen wieder ab. Nach und nach nimmt der Bandsalat Form an: Man erkennt die feinen Konturen eines Mannes, der einen Strauß Blumen wirft.

Aus alten Dingen Neues schaffen

Seit knapp 14 Jahren macht die 34-Jährige hauptberuflich Kunst mit Kassetten unter dem Label „madeinosnabrueck“. Mitten in Osnabrück, in einem ehemaligen Kiosk in der Bramscher Straße, findet man ihr kleines Atelier. „Man sieht noch, dass es mal ein Kiosk war. Dort hingen die Regale“, sagt sie und zeigt mit dem Finger auf die Wände. Da, wo sich einst Süßigkeiten und Getränke tummelten, reihen sich jetzt Kassettenbilder nebeneinander – Porträts von jungen Frauen, Woody Allen, Elvis. Dazwischen Bücher und Bilder anderer Künstler. Auf der alten Kommode steht ein Glas mit Konfetti „to go“. Ein Konfetti-Tattoo ziert auch Katrins Oberarm. Direkt neben der Eingangstür steht eine alte Wanne mit Kissen. „Das ist mein Sofa“, sagt sie. Auf ihrem Arbeitstisch liegen neben Pinseln und Farben bereits Kassetten. Sie sind bereit für den Einsatz.

Von Heino über Partymusik

Katrin bekommt Kassetten für ihre Kunstwerke aus ganz Deutschland zugeschickt. Oft hängen viele Emotionen und persönliche Geschichten an den Tonbandträgern. Denn meist erhält sie Mixtapes, also Kassetten mit selbst zusammengestellten Liedern. Anstatt sie zu entsorgen, finden die Leute den Gedanken viel schöner, dass aus den alten Kassetten Kunst entsteht. „Von Schlager von Heino über Partymusik bis hin zu den Beatles war schon alles dabei“, berichtet Katrin, die eine Kassette mit der Aufschrift „Reinhard Mey“ in der Hand hält. „Wieder so ein Schätzchen“, sagt sie grinsend.

Kassette mit Maulklemme

Foto: Adele Stevens (1)

Bis zu zehn Bilder aus einer Kassette

Der Bandsalat einer Kassette reicht aus, um etwa zehn Bilder anzufertigen. Die Künstlerin verkauft zum einen ihr Standardsortiment, also Bilder, die sie in ausreichender Masse immer wieder anfertigt. Darunter fallen Porträts von Musikern, Schauspieler, Filmfiguren oder auch Alltagsmotive. „Die Besteller sind Bud Spencer, der VW Bulli und die Beatles.“

Am meisten Spaß machen Katrin Auftragsarbeiten. „Manchmal bekomme ich einfache Schnappschüsse, die mit dem Smartphone aufgenommen wurden, den Leuten aber viel bedeuten. Und ich mache dann ein Kassettenbild daraus.“ Auch das Gestalten sogenannter Mixed Media-Porträts zählt zu ihren Lieblingsaufgaben. Dabei kommen neben den Kassettenbändern auch Farben in Spiel. „Die Bilder sind dann nicht mehr schwarz-weiß, sondern mit Acryl- oder Aquarellfarben bemalt.“

Frisuren für untenrum

Ihr neustes Projekt hat aber ausnahmsweise mal nichts mit Kassettenbändern zu tun. „Ich habe 166 Nippel aus Keramik gefertigt.“ Weibliche Brustwarzen haben in den sozialen Medien keinen Raum, erklärt Katrin. „Eine weibliche Brust wird als provozierend und pornografisch dargestellt, während eine männliche Brust normal und als alltäglich gilt“, sagt sie und betont, für die Entsexualisierung der weiblichen Brust zu stehen.
Denn als Frau und weibliche Künstlerin sei auch sie immer wieder auf Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts gestoßen und persönlich wie auch beruflich damit konfrontiert. „Obwohl wir im Jahr 2022 leben, findet keine Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern statt. An manchen Tagen macht mich das traurig, an anderen bin ich sehr wütend“, sagt sie und verarbeitet diese Gefühle durch ihre Kunst. So entstand zum Beispiel auch Katrins Serie „Wella Vulva“.

Foto: Marie Monecke

Sprache kann viel bewirken

„Ich habe mir einige Frisuren für untenrum überlegt und diese von bekannten Persönlichkeiten abgeleitet. Frauen können und sollen untenrum alles tragen, was sie wollen und sich nichts von den Medien vorschreiben lassen.“ Wer diesbezüglich noch unschlüssig ist, kann sich von Katrins Vulva-Frisuren aus Kassettenband inspirieren lassen. So gibt es zum Beispiel ein Porträt namens „Marylin“: Ihr Schönheitsfleck über der Oberlippe ist auf Katrins Bild ein Schönheitsfleck über der Vulva-Lippe. Oder auch „George“ – die Vulva-Frisur aus Kassettenbändern sieht aus wie ein Busch, der Name ist inspiriert von George W. Bush.

„Ich finde es auch wichtig, den Begriff Vulvahaare zu benutzen und nicht das Wort Schamhaare. Denn sie sind nichts zum Schämen.“ Sprache müsse man überlegt einsetzen, denn sie könne viel bewirken. So wie auch Katrin mit ihrer Kunst – ohne erhobenen Zeigefinger, dafür aber mit einer Portion Humor, um Menschen auf diese Art zu erreichen und für das Thema Gleichberechtigung zu sensibilisieren.

Text: Adele Stevens

Hier gibt’s den Beitrag noch einmal auf Plattdeutsch zum Anhören:

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